Ex-Ministerin Christine Aschbacher droht nach Plagiatsvorwürfen die Aberkennung ihrer akademischen Grade aus Wiener Neustadt und Bratislava. Die Hochschulen prüfen den Fall

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Wieso sich durch ein Studium quälen, wenn man den Doktortitel einfach kaufen kann? Zum Beispiel Doktor-Diplome aus Oxford, Harvard oder Yale auf der Webseite berufsdiplom.com, die man sich zu Hause ausdrucken kann.

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Auf title-town.de kann man Ehrendoktortitel des California Church and University Institute ergattern, ohne je ein Studium absolviert zu haben. Das kostet einiges, aber macht sich gut auf der Visitenkarte – offiziell führen darf man solche Titel aber nicht. Sie sind nicht anerkannt.

Doch abseits schwindeliger Internetseiten sind auch anerkannte akademische Abschlüsse nicht allzu schwierig zu bekommen. Der jüngste Fall von Plagiatsverdacht bei den wissenschaftlichen Abschlüssen von Ex-Arbeitsministerin Christine Aschbacher (ÖVP) ist einer von vielen, die das dokumentieren.

1. Problemaufriss

Das liegt nicht nur an Plagiaten, sondern oft auch an mancherorts niedrigen Qualitätsstandards, unter denen mangelhafte Arbeiten positiv beurteilt werden. Rundherum hat sich in den letzten 20 Jahren eine regelrechte Titel-Industrie gebildet.

Zahlungskräftige Studierende können sich mit unlauteren Diensten leichter zum Titel schummeln
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"Bei der Vergabe von akademischen Graden gibt es Geschäftsmodelle und Profitkonstruktionen", sagt Oliver Vitouch, Rektor der Uni Klagenfurt. Einerseits verschafft ein Titel sozialen Status, zudem verdient man damit auch mehr Geld. Andererseits kostet das Verfassen einer Abschlussarbeit Zeit und Muße. Die Titel-Industrie verspricht die Vorteile ohne großen Aufwand.

Was nach Ansicht Vitouchs manche, die in der Öffentlichkeit stehen, "schamlos" ausnützten: "Politiker und Politikerinnen wie Christine Aschbacher haben, wenn es um die Erreichung eines akademischen Titels geht, jedes Schamgefühl verloren. Dabei geht es um Täuschung, um kriminelle Energie, um ein vorsätzliches Betrugsdelikt."

2. Forschungsstand

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sich den Abschluss zu erschleichen. Wie häufig Studierende plagiieren, Daten fälschen oder einen Ghostwriter engagieren, lässt sich nur erahnen. Unter Berufung auf internationale Metaanalysen schätzt Plagiatsjäger Stefan Weber, dass wissenschaftliches Fehlverhalten wie Plagiat, Ghostwriting oder Datenfälschung bei je rund 3,5 Prozent der Studierenden und/oder Wissenschafter festzustellen ist. Das wären bei rund 380.000 Studierenden im vorigen Studienjahr je zumindest 13.000 Plagiatoren, Ghostwriting-Arbeiten und Datenfälscher, rechnet Weber im Falter vor. Die Dunkelziffer dürfte höher sein.

3. Plagiat

Welche Folgen Plagiate haben, hängt von der Schwere des Falls ab. Fällt das Plagiat nach der Titelverleihung auf, kann dieser aberkannt werden. Im Fall Aschbacher prüfen das nun die FH Wiener Neustadt und unabhängig davon die TU Bratislava. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wackeln sowohl Magister als auch der darauf aufbauende PhD.

Seit der Abgabe ihrer Diplomarbeit sind fast 15 Jahre verstrichen. An den Konsequenzen ändert das nichts. Denn: Plagiate verjähren nach geltendem Recht nicht. Geht es nach der türkis-grünen Regierung wird an den Unis aber demnächst eine Lockerung für Plagiatoren eingeführt. Laut Uni-Novelle soll eine Aberkennung unredlich erlangter Titel nach einer Spanne von 30 Jahren nicht mehr möglich sein.

Plagiatsjäger Weber hält das für falsch, da man auch mit älteren Zitierrichtlinien Fehlverhalten der Vergangenheit beweisen könne. Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) argumentiert indes, dass fast alle Delikte verjähren, das müsse auch für Plagiate gelten. Der Verfassungsdienst ist weniger überzeugt: So wäre es möglich, "erschlichene akademische Grade zu ‚ersitzen‘". Da ein Plagiator "bösgläubig" agiere, sei das problematisch.

Nützen wird die Verjährung nur wenigen, denn die meisten Fälle tauchen früher auf. Manchen schadet selbst eine Aberkennung des Titels aber kaum: Der steirische ÖVP-Politiker Christian Buchmann verlor 2017 seinen Doktortitel, mittlerweile ist er Bundesratspräsident. Österreichweite Zahlen zu Aberkennungen gibt es nicht. An der Uni Wien wurden in den vergangenen 15 Jahren 50 Verfahren eingeleitet – in 26 Fällen kam es zum Titelverlust.

4. Ghostwriting

Dieselben Rechtsfolgen gelten für jene, die sich die Abschlussarbeit von einem Ghostwriter schreiben lassen. Das hat seinen Preis: So verlangt eine der größten Ghostwriting-Agenturen im deutschsprachigen Raum, Acad Write, pro Seite 89 Euro. Laut deren Preisrechner kosten 50 Seiten je nach Fach, Qualität der Arbeit und Forschungsmethode zwischen 4500 und 6300 Euro. Bei der Ghostwriter Agentur Österreich erhält man bereits ab 2990 Euro eine 50-seitige Bachelorarbeit. Selbstständige Ghostwriter bieten ihre Dienste auf schwarzen Brettern feil.

Sie alle werben damit, bei der wissenschaftlichen Arbeit zu unterstützen, nur eine Vorlage für die wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Auch die statistische Auswertung kann als "Ghostcoding" ausgelagert werden. Was die Studierenden letztlich damit tun – nämlich fremdes geistiges Eigentum als ihr eigenes auszugeben –, sei deren Entscheidung, so die Agenturen, die sich aus der Verantwortung ziehen.

Dem will die Regierung einen Riegel vorschieben. Laut Uni-Novelle soll gewerbsmäßiges Ghostwriting mit einer Strafe von bis zu 65.000 Euro geahndet werden. Faßmann hofft, die Agenturen so "aus dem Markt zu drängen". Freilich besteht die Gefahr, dass diese ihre Tätigkeit unter anderem Namen weiterführen und die Umgehungsversuche schwer verfolgt werden können.

5. Promotionsvermittlung

Als wissenschaftlich fragwürdig gilt vielen auch die sogenannte Promotionsvermittlung. So bieten etwa das Institut für Management in Salzburg oder das Studienzentrum Hohe Warte (SHW) in Wien und deren Sales Manager Academy berufsbegleitende Promotionen in Brünn, Bratislava, Belgrad und Warschau an und vermitteln Doktorbetreuer gegen Gebühr. Bis zu 30.000 Euro kosten die Studiengänge, die versprechen, in vier bis sechs Semestern aus der Ferne den PhD zu erhalten. Normalerweise dauert das zwischen drei und fünf Jahre – im Vollzeitstudium. Gerade für Politiker scheint das berufsbegleitende Doktorat, oft als "Eitelkeitspromotion" bezeichnet, interessant zu sein.

"Ein EU-Grundrecht, das seine grundsätzliche Berechtigung hat, aber auch ein Einfallstor für Schindluder sein kann", sagt Rektor Vitouch. So stellt sich zum Beispiel die Frage, wie diese Arbeiten entstehen: "Wir wissen es nicht, es kann auch von einem Ghostwriter geschrieben sein", sagt Debora Weber-Wulff. Die Plagiatsforscherin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin beteiligt sich seit 2011 bei Vroniplag Wiki, einer Plattform, die Plagiate aufdeckt. 210 plagiierte Hochschulschriften haben Weber-Wulff und ihre Kollegen bereits dokumentiert, neun davon in Bratislava – alle auf Deutsch. Auch bei manchen dortigen Fällen haben sie festgestellt, dass Doktorarbeiten recycelte Masterarbeiten sind, die wiederum Bachelorarbeiten plagiieren.

Fünf der Bratislava-Fälle tauchten an der Paneuropäischen Hochschule auf, mit der das SHW kooperiert. Brisant sind vor allem zwei Plagiatoren: Julia Linnert-Kuhn und Michael Linnert, die Kinder von Peter Linnert, dem SHW-Geschäftsführer. Beide Dissertationen sind laut Vroniplag Wiki fast gänzlich abgeschrieben, bei seiner Tochter war Linnert Zweitgutachter. Und laut FAZ hat Linnert einen Managementberater gebeten, die Arbeit seiner Tochter zu verfassen. In einem weiteren Plagiatsfall ist Linnert – der 2015 ein Ehrenkreuz für seine Verdienste in der Wissenschaft erhalten hat – der Betreuer der Arbeit.

Wie kann so etwas durchgehen? "Ich vermute, wenn alle Beteiligten etwas davon haben, wird die Arbeit nicht so genau geprüft", sagt Weber-Wulff. Auch die Betreuer erhalten oft von den Promotionsberatern eine Gebühr.

6. Ausweichmanöver

Ex-Ministerin Aschbacher hat wie einige ihrer Politkollegen berufsbegleitend promoviert – ob mit Vermittlung, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass die Slowakei günstige Faktoren für erschlichene Abschlüsse bietet. So ist es erlaubt, Arbeiten auf Deutsch zu verfassen. Doch diese werden statt mit einer bekannten Plagiatssoftware wie Turnitin mit einer staatlichen Software gecheckt, die hauptsächlich slowakische Quellen beinhaltet – nur acht Prozent sind fremdsprachig.

"Leute haben die Vorstellung, dass Plagiatssoftware ein Zauberteil ist, wo ich die Arbeit eintauche, und dann sagt sie, wie viel davon Plagiat ist. Es ist aber nur ein Hinweis, man muss sich die Berichte immer noch mal händisch anschauen", sagt Weber-Wulff. Auch konnte einem in der Slowakei bisher bei einem Plagiat der Titel nicht aberkannt werden. Erst seit Herbst gibt es ein Gesetz für Arbeiten, die ab 2021 eingereicht wurden.

Ob das System hat oder Einzelfälle sind, kann Plagiatsforscherin Weber-Wulff nicht sagen. Es gebe nur Indizien, keine Beweise oder systematische Untersuchungen. "Wir wissen, es gibt Plagiate in Bratislava. Es kann sein, dass wir zufällig alle gefunden haben, aber ich glaube es nicht." Die TU Bratislava, sei in ihren Recherchen noch nicht aufgetaucht.

7. Ausblick

In akademischen Kreisen hat der "Doktor Bratislava" jedenfalls ein Imageproblem. "Wer seinen Doktorgrad aus Bratislava hat, will das vielleicht nicht sagen", sagt Weber-Wulff. Uni-Rektor Vitouch befürchtet wegen der Plagiats- und Titelproblematik auch Konsequenzen für die Reputation des österreichischen Wissensstandorts: "Das ist ein hohes Gut, das mühsam erworben wird, aber rasch verspielt ist. Österreich muss aufpassen, nicht in ein schiefes Licht zu geraten."

Vitouch weist auf ein weiteres kritisches Feld der berufsbegleitenden Studien hin: "Leider ist das Problem der Verwässerung der akademischen Graduierung oft mit berufsbegleitenden Angeboten verquickt." Dass es mit Berufserfahrung teils nur 60 oder 90 ECTS-Credits braucht, um Master zu werden, hält er für "eine staatlich geduldete Täuschung und einen Etikettenschwindel". Was dächten Studierende, die bis zum Master 300 ECTS erbringen müssten, wenn bei anderen 60 ECTS reichen? "Nichts gegen Berufserfahrung, aber das hat mit Wissenschaft nichts zu tun."

Was kann also dagegen getan werden? "Alle aufzudecken, die plagiiert haben, wird nicht viel bringen", sagt Weber-Wulff. Man müsse sensibilisieren, was gute wissenschaftliche Praxis ist und wie man Plagiate vermeidet – statt sie unter den Teppich zu kehren. (Theo Anders, Walter Müller, Selina Thaler, 16.1.2021)