Regierungsinserate mit der Absicht von politischem Einfluss sind für Christopher Buschow (34) "hochgradig problematisch". Der Kommunikationswissenschafter an der Bauhaus-Universität Weimar beschäftigt sich wesentlich mit Innovation im Journalismus – auch als Juror der Wiener Medieninitiative, einer Projektförderung. Die geplante deutsche Presseförderung sieht er als vertane Chance, orientiert am Muster der österreichischen Bundespresseförderung. Buschow hat Tipps für eine Förderung journalistischer Zukunft. Mittel aus Regierungswerbung könnten etwa in eine transparente Innovationsförderung umgeleitet werden.

STANDARD: Deutschland hat nun erstmals beschlossen, eine Presseförderung einzuführen, geplantes Volumen bis zu 220 Millionen Euro. Sie haben das Konzept dafür gerade in der "Taz" als "vertane Chance" bezeichnet. Warum das?

Buschow: Wir erleben hier erstmals eine direkte Förderung der privatwirtschaftlich organisierten Presse. Aber es wurde hier vieles aus anderen Ländern übernommen, von dem wir wissen, dass es nicht funktioniert. Jedenfalls nicht für die sinnvollen Ziele einer Presseförderung.

STANDARD: Was wären solche sinnvollen Ziele?

Buschow: Journalistische Qualität zu fördern, die wir uns für die Gesellschaft wünschen, Innovation zu fördern, damit journalistische Angebote bestenfalls auf eigenen Beinen stehen können. Erklärtes Ziel dieser deutschen Förderung ist ja, die digitale Transformation von Verlagshäusern zu fördern. Ich kann aber nicht erkennen, dass das Wirtschaftsministerium tatsächlich Innovationen fördert. Mir scheint es eher so zu sein, dass man die ursprünglich geforderte generelle Zustellförderung als Innovationsförderung tarnt.

STANDARD: Was bringt Sie auf diesen Verdacht?

"Das ist letztlich eine Bezuschussung der Unternehmen, die Papier bedrucken. Man könnte sagen: Auch das ist eine vertane Chance." Kommunikationswissenschafter Buschow über Österreichs Presseförderung.
Foto: fid

Buschow: Die gedruckte Auflage soll ein wichtiges Kriterium werden. Damit fördert man jene, die ohnehin noch hohe Auflagen haben und denen es wirtschaftlich vielleicht noch ganz gut geht. Und zum Zweiten belohnt man womöglich sogar jene, die in den letzten Jahren nicht so recht in Digitalisierung investiert haben. Und die Definition von Innovation im bisher bekannten Konzept des Wirtschaftsministeriums ist so breit und so allgemein, dass im Grunde jeder Verlag etwas Passendes findet.

STANDARD: Welche Förderkonzepte sehen Sie denn aus anderen Ländern abgeschaut?

Buschow: Im Grunde repliziert die deutsche Förderung die Dinge, die die österreichische Bundespresseförderung macht – und das ja nicht gerade mit großem Erfolg, muss man leider sagen.

"Da spielt Qualität keine Rolle, da spielt Innovation keine Rolle. Das ist letztlich eine Bezuschussung der Unternehmen, die Papier bedrucken. Man könnte sagen: Auch das ist eine vertane Chance."

STANDARD: Was macht die österreichische Presseförderung denn falsch? Wir sollten dazu erwähnen: Sie sind Juror für die Vergabe der Wiener Medieninitiative, einer 2019 gestarteten projektorientierten Medienförderung.

Buschow: Es gibt die große Gießkannenförderung der Republik Österreich, orientiert im Wesentlichen an Druckauflagen – wie die gerade im Frühjahr ausgeschüttete Corona-Sonderförderung. Das hat für mich den Charakter einer Subvention ohne wesentliche Kriterien. Da spielt Qualität keine Rolle, da spielt Innovation keine Rolle. Das ist letztlich eine Bezuschussung der Unternehmen, die Papier bedrucken. Man könnte sagen: Auch das ist eine vertane Chance.

STANDARD: Es gibt Förderungsteile und Kriterien jenseits der Gießkanne für nicht marktbeherrschende Zeitungen, von denen etwa die "Presse" und DER STANDARD profitieren, und es gibt Förderungen für Korrespondenten, Leseförderung, Ausbildung.

Buschow: Gut, dass es da erste Schritte gibt. Das scheint mir aber zu wenig, wenn man den Journalismus in die Zukunft tragen will. Da geht noch mehr.

STANDARD: Neben der formellen Presseförderung – regulär neun Millionen Euro – und anderen Förderungen für TV- und Radiosender gibt es in Österreich noch Inserate öffentlicher Stellen und Firmen von rund 180 Millionen Euro pro Jahr.

Buschow: Diese Inserate halte ich für eine hochgradig problematische Art der Förderung, jedenfalls aus der deutschen Brille. Ich weiß, dass das in Österreich Tradition hat. Eine aktuelle Studie hat ja auch gezeigt, wie wichtig die Regierungsinserate als Erlösstrom für viele Verlage sind. In Deutschland hat unser Verfassungsgericht da klare Schranken erlassen.

STANDARD: Welche höchstrichterlichen Schranken für Regierungswerbung gibt es in Deutschland?

Buschow: Das Medienhaus Wien hat auf sie gerade in seiner Studie über Regierungswerbung (PDF-Link) verwiesen: In einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes von 1977 heißt es etwa: "Ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen in die Wahlen zur Volksvertretung ist auch nicht zulässig in der Form von Öffentlichkeitsarbeit." Und: "Als Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung kommt weiterhin ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht." Ich halte es für sehr richtig, dass es diese klaren Schranken gibt. Aber jetzt, in Corona-Zeiten, sind die Werbeetats – etwa des deutschen Gesundheitsministeriums – erheblich gestiegen.

STANDARD: Was finden Sie "hochgradig problematisch" an der österreichischen Inseratenpraxis?

"Wenn es sich tatsächlich um eine verdeckte Form der Pressesubvention handelt, auch mit der Absicht einer politischen Einflussnahme, dann hielte ich das einer Demokratie für unwürdig." Buschow über Österreichs Regierungsinserate.
Foto: MatthiasEckert / Bauhaus Universität Weimar

Buschow: Wenn es sich tatsächlich um eine verdeckte Form der Pressesubvention handelt, auch mit der Absicht einer politischen Einflussnahme, jene zu bevorzugen, die der eigenen Meinung näher stehen, dann hielte ich das einer Demokratie für unwürdig. Wenn man Presseförderung machen will und zu der Erkenntnis kommt, dass es sie braucht, um die demokratiepolitische Funktion des Journalismus zu bewahren, dann muss man Verfahrensweisen finden, die offen und transparent sind, deren Kriterien klar sind. Und keine grauen Wege einschlagen.

STANDARD: Was macht diese "Wiener Medieninitiative" nun aus Ihrer Sicht besser?

Buschow: Ich wäre nicht Jurymitglied, wenn ich die Initiative nicht für gelungen halten würde. Sie ist bei weitem nicht perfekt, aber hat einige Vorzüge. Sie fördert etwa nicht nach dem Gießkannenprinzip, sondern nach einem wettbewerblichen Verfahren. Das heißt: Man muss sich bewerben, es gibt einen Auswahlprozess. Und es wird nicht das Bestehende subventioniert, sondern tatsächlich auf Innovation geschaut. Und es gibt qualitative Mindeststandards.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Buschow: Einen Bezug zum Ehrenkodex der Presse, die Zahl der beschäftigten Journalistinnen und Journalisten.

"Man will doch nicht bedrucktes Papier fördern, sondern demokratiepolitisch relevanten Journalismus unterstützen."

STANDARD: Kann man eine öffentliche Förderung an die Teilnahme an einem Selbstkontrollorgan der Medienbranche knüpfen?

Buschow: Das muss man sogar. Man will doch nicht bedrucktes Papier fördern, sondern demokratiepolitisch relevanten Journalismus unterstützen. Das ist der einzige Grund, weshalb es eine öffentliche Förderung braucht. Man muss also Mindeststandards festlegen. Darüber dürfen aber nicht Politiker oder Ministerien entscheiden. Diese Governance muss delegiert werden.

STANDARD: An wen?

Buschow: Governance-Strukturen, die vom politischen Raum entkoppelt sind.

STANDARD: Ich bin nicht sicher, ob die von Ihnen genannten Ziele von Presseförderung Common Sense bei allen Stellen sind, die in Österreich offiziell oder inoffiziell Medien fördern.

Buschow: Auch in Deutschland merken wir immer mehr, dass Medienpolitik zunehmend als strategisches Instrument verstanden wird. Das zeigt sich gerade im Diskurs um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Die Zustimmung zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags, in Deutschland gerade eine Riesendiskussion, wird immer häufiger gekoppelt an inhaltliche Kritik, teilweise auch von Politikern der CDU. Aus meiner Sicht sollte das ein No-Go sein. Die Rolle der Medien in der Demokratie und ihr Beitrag zum Funktionieren der Demokratie scheinen unter manchen Medienpolitikern nicht mehr Allgemeingut zu sein. Das ist bedauerlich.

STANDARD: Österreichs Bundeskanzleramt bereitet gerade neue Digitalförderung vor, 18 Millionen Euro sind da geplant, finanziert aus der Digitalsteuer auf Werbung bei Google, Facebook und Co. Wie sollte denn eine Digitalmedienförderung 2021 aussehen?

Buschow: Wenn man eine zukunftsgerichtete Förderung machen will, dann wird man sicher nicht umhinkommen, nicht allein die bestehenden Medienorganisationen zu fördern, sondern eben auch neue Pflänzchen. Man darf keine Neugründungen ausschließen, man darf einzelne Journalistinnen und Journalisten nicht von der Förderung ausschließen. Man muss auch Verbünde und Kooperationen fördern, die beispielsweise Universitäten und technologische Akteure umfassen. In solchen Verbünden ist erwiesenermaßen die Innovationskraft am größten. All das tut die neue Presseförderung in Deutschland leider nicht.

"Zugespitzt gesagt: Die deutsche Bundesregierung fördert da womöglich den Abschied der deutschen Verlage aus dem Journalismus."

STANDARD: Sie empfehlen also: kein Fokus auf klassische Verlags- und Medienunternehmen, die sich eine App als Innovation fördern lassen wollen.

Buschow: In Deutschland reicht laut dem vorliegenden Konzept des Wirtschaftsministeriums ein Rubrikenportal oder ein Onlineshop für Förderung. Das hat ja nichts mit Journalismus zu tun.

STANDARD: Könnte aber Journalismus immerhin querfinanzieren.

Buschow: Im Gegenteil: Mit Onlineshops und Rubrikenportalen entfernen sich Verlage mehr und mehr vom Journalismus. Sie haben keinen Anreiz mehr, Journalismus zu machen, denn im Gegensatz zur klassischen Tageszeitung sind Journalismus und Rubrikenanzeigen im Onlinebereich nicht mehr notwendigerweise gekoppelt. Zugespitzt gesagt: Die deutsche Bundesregierung fördert da womöglich den Abschied der deutschen Verlage aus dem Journalismus.

STANDARD: Jetzt wissen wir, wie Sie eine Digitalförderung nicht organisieren würden. Wie sollte sie fördern?

Buschow: Die Bundesregierung könnte sich da ein Beispiel an der Wiener Medieninitiative nehmen. Sie sollte jedenfalls in selektiven Verfahren, eventuell in Wettbewerben fördern, das wissen wir aus Dänemark, aus den Niederlanden: Dort sind diese Verfahren schon länger im Einsatz und haben sich bewährt, für bestehende Unternehmen wie Neugründungen. Das heißt aber auch, dass etwas nicht gefördert wird – und Förderung nicht mit der Gießkanne verteilt wird.

STANDARD: Also man kann sich um Förderung bewerben und eine Jury empfiehlt oder vergibt dann ...

Buschow: Das kann eine Fachjury sein oder pluralistisch zusammengestellte Räte, das können auch Berufsgemeinschaften sein, also andere Journalistinnen und Journalisten. Eine künftige Aufgabe der Journalismusforschung wird sein, die Vor- und Nachteile dieser Verfahrensweisen stärker zu erforschen.

STANDARD: Und was sollte man fördern?

Buschow: Das sollte man – abgesehen von den besprochenen Grundanforderungen – inhaltlich nicht wesentlich einschränken, etwa auf Formate. Da braucht es einen breiten Fokus, es kann da etwa um Produkt, Organisation, Erlösquellen gehen. Ich bin auch Organisationsforscher. Redaktionen etwa sind ein 120 Jahre altes Modell. Neue Arten der Zusammenarbeit im Journalismus wären ein Thema. Bei den Geschäftsmodellen haben sich Medien zu lange an Werbefinanzierung geklammert und die Chance verpasst, etwas Neues zu entwickeln. Organisation könnte ein ähnlicher Punkt zu sein. Da könnte man Anreize schaffen – evidenzbasiert.

STANDARD: Also erst erforschen und Faktenbasis schaffen, dann eine Förderung designen.

Buschow: Wenn die österreichische Regierung eine Digitalförderung als zukunftsgerichtete Journalismusförderung entwickeln möchte, würde ich ihr empfehlen, zuerst systematisch aufzuarbeiten: Wo sind denn die Probleme, an denen Innovationen im österreichischen Journalismus heute scheitern? Diese Evidenzen müssen der Ausgangspunkt sein, um zu Maßnahmen zu kommen. Zu häufig entwickelt Medienpolitik Maßnahmen und sucht dann nach Erklärungen, warum die jetzt richtig sind.

"Ich würde alternativ vorschlagen, erst gar keine Regierungsinserate zu vergeben und das Geld in eine transparente Förderinitiative einzuspeisen, die nicht beliebig ist und nicht nach politischem Ermessen vergeben wird."

STANDARD: Der Medienbeauftragte des Bundeskanzlers könnte darauf jetzt antworten: Ich habe in den vergangenen Monaten mit allen Stakeholdern, Verlegern, Senderchefs, Verbänden gesprochen. Die sagen mir: Wir brauchen Geld für Innovationen.

Buschow: Man könnte sich auch neutralere Expertise beschaffen, zum Beispiel aus der Wissenschaft. Natürlich ist Geld ein Faktor. Aber ein Irrtum von Innovationspolitik ist: Wenn man einfach Geld in Organisationen reinschüttet, sprudeln die Innovationen nur so heraus. Es geht um mehr. In der Innovationspolitik geht es etwa darum: Wie kommen Akteure der Innovation ins Arbeiten, wie kooperieren sie? In Deutschland ist man sich dessen an sich auch bewusst. Insofern ist dieses Papier des Wirtschaftsministeriums für eine Medienförderung besonders erstaunlich. Es ignoriert das Wissen aus anderen Bereichen.

STANDARD: Sie haben als Grundkriterien für Medienförderungen die Akzeptanz von Branchenkodizes und Selbstkontrollorganen wie dem Presserat erwähnt. Nach dem Terroranschlag in Wien Anfang November haben zwei Portale – krone.at und oe24.at – Videos veröffentlicht. Soll man solche Grenzüberschreitungen bei öffentlichen Inseraten, bei Förderungen in Betracht ziehen?

Buschow: Ich halte Regierungsinserate ja schon grundsätzlich für nicht angemessen, wie ich ausgeführt habe. Ich würde alternativ vorschlagen, erst gar keine Regierungsinserate zu vergeben und das Geld in eine transparente Förderinitiative einzuspeisen, die nicht beliebig ist und nicht nach politischem Ermessen vergeben wird.

STANDARD: Kommerzielle Werbekunden haben ihre Buchungen daraufhin gestoppt, Werbeagenturchefs dazu aufgerufen.

Buschow: Ich finde es zunächst einmal positiv, dass die Selbstregulierungsmechanismen der Branche offenbar funktionieren. Dass auch Werbekunden sagen: Ich weiß nicht, ob ich in dem Umfeld noch werben möchte. Ich kann die Frage nicht abschließend beantworten, dazu ist der Einzelfall zu spezifisch. Aber wir werden nicht darum herumkommen, über qualitative Kriterien für Journalismus zu reden. Da ist es keine Option, dass der Staat die Kriterien definiert. Das müssen repräsentativ-pluralistische Gremien sein, Expertenjurys oder auch Professionsgemeinschaften wie ein Presserat. (Harald Fidler, 17.11.2020)