Das Magazin "Natur und Heilen" steht laut Eigendefinition für bewusstes Leben, sanfte Medizin, ökologisches Denken und - notabene - fundierte Spiritualität. Fundiertes Wissen fehlt in der Auflistung, darum darf sich das Bobo-Magazin in der Oktoberausgabe diese Coverstory erlauben: "Homöopathie -  Behandlungserfolge bei Covid-19". Ein Fragezeichen suchen wir vergeblich. Das ist nicht verwunderlich, denn die Story dreht sich um einen Arzt, der sich selbst eher wenig zu hinterfragen pflegt: Jens Wurster. Der in der Schweiz ordinierende deutsche Mediziner hat sich bislang mit homöopathischen Krebsbehandlungen einen Namen gemacht, wenngleich einen außerhalb seiner Blase alles andere als guten. Der  deutsche Gesundheitsökonom und Buchautor Norbert Schmacke charakterisiert Wurster so: "Die katholische Kirche ist bei geltend gemachten Wunderheilungen kritischer als Herr Wurster."  

Zuckerkugeln statt Notarzt

In seinem Beitrag in "Natur und Heilen" gibt Wurster an, 70 Corona-Erkrankte homöopathisch behandelt zu haben, "alle über Telefon und Skype." Sieben Fälle davon schildert Wurster konkret und bildhaft. "Natur und Heilen" wirkt hier ein wenig wie ein Landser-Heftl für Esoteriker. Eine 66-jährige, infizierte, kranke Frau, die bereits unter argen Atembeschwerden leidet, ruft bei Wurster an und fragt, ob sie den Notarzt rufen soll. Sie hat "das Gefühl eiserner Ringe um den Brustkorb". Doch Wurster bleibt ganz ruhig, ein Homöopath denkt bei eisernen Ringen an Bryonia, die weiße Zaunrübe. Wurster schreibt: "Also gab ich ihr Bryonia auf die Zunge und dann noch ein paar Mal in Wasser aufgelöst. 15 Minuten nach der ersten Einnahme sagte sie, sie hätte das Gefühl, als ob eine Wärme in ihr aufsteige." Wurster zitiert die Patientin: "Und 30 Minuten später war es, wie wenn die Eisenringe in meinem Brustkorb aufgebrochen wären."  

Doch Wurster berichtet auch von Rückschlägen: die Frau ruft einen Monat später erneut an, mit stechenden Ohrenschmerzen und Husten reagiere sie auf kalte Luft. Und wo Kälte ist, da heizt der Homöopath ein. "Hier erkennt man als homöopathischer Arzt die Symptome von Hepar sulfuris (Anmerkung: ein Gemisch aus Pottasche und Schwefel). Sie bekam das Mittel und am nächste Tag war alles vorbei", verkündet der Arzt stolz. 

Wurster zieht Bilanz: "Von meinen Patienten konnte ich schätzungsweise 80 Prozent erfolgreich mit Bryonia behandeln, etliche weitere mit Phosphorus." Angetrieben von den Erfolgen mit seinen Privatpatienten wollte Wurster auch für die breite Masse tätig werden. Für das lokale Krankenhaus hat er ein "Manual der wichtigsten Symptome" verfasst und für jede Abteilung ein "Homöopathie-Kit" zusammengestellt. Doch Wursters Euphorie wurde rasch gedämpft: "Zuerst war ich ganz begeistert und dachte: Jetzt wird jeder hier im Krankenhaus Homöopathie anwenden! Aber leider wurde die Idee komplett blockiert." Der Prophet zählt nicht viel im eigenen Land.

Kein Hinweis auf das Wesen der Homöopathie 

Was überrascht: Wurster gibt bei seinen detaillierten Schilderungen im Magazin "Natur und Heile" keinen einzigen Hinweis darauf, wie sehr die heilbringenden Mittel, die er angewendet hat, "potenziert" wurden. Das Öko-Eso-Wohlfühl-Blatt erspart seinen Lesern eine Auseinandersetzung mit dem Wesen der Homöopathie-typischen, absurden D- und C-Verdünnungen. So bleibt der Eindruck, als arbeite Wurster mit allerlei Naturheilmitteln aus dem Garten Gottes, und nicht mit substanzlosen Verdünnungen. 

Globuli gegen Covid und Pandemien.
Foto: Getty Images/iStockphoto/ollo

Märchengeschichten aus vergangenen Jahrhunderten

Dass die Homöopathie bei der Bekämpfung von Pandemien nicht nur seit jeher erfolgreich war, sondern die "Schulmedizin" locker in die Tasche steckt, darüber berichtet in der "Natur und Heilen"-Ausgabe ein "Heilpraktiker". Aleksandar Stevanovic beginnt mit Schilderungen aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert. Die Sterblichkeit der zu jener Zeit grassierenden Cholera: 51 Prozent bei "schulmedizinisch" behandelten Personen, aber nur neun Prozent bei homöopathisch Behandelten. Ähnliche Erfolgsgeschichten habe es bei Pocken und Gelbfieber gegeben. Bei der spanischen Grippe sehe die Sache noch dramatischer aus: In Nordamerika wären von 59.560 homöopathisch behandelten Kranken 93 Prozent geheilt worden. Der "Schulmedizin" wären indes 70 Prozent der Kranken weggestorben. Stevanovic ist verbittert: "Diese Erfolge der Homöopathie werden von der offiziellen medizinischen Geschichtsschreibung verschwiegen." 

Bücher und Globuli en Masse

Stefanovic ist Autor mehrerer Bücher die am Erfolg der Homöopathie keine Zweifel lassen. Die Werke "Grippe-Globuli" und "Notfall-Globuli" sind im Narayana-Verlag erschienen. Der Verlag vertreibt nicht nur Bücher, die das zauberhafte Wirken der Globuli beschwören, sondern die Globuli selbst. "Unarzneiliche Rohglobuli" im unromantischen, aber praktischen Zehn-Kilogramm-Gebinde sind beim Verlag um knappe 200 Euro zu haben. Der Apotheker, der im Handwerk des Potenzierens nach den exakten Vorgaben Hahnemans geübt ist, darf diese Kugeln mit Informationen eines Wirkstoffs "imprägnieren". Aus dem Zehn-Kilo-Gebinde werden durch diesen Akt feinstofflicher Wertschöpfung letztlich rund 1.000 Globuli-Fläschchen in der apothekenüblichen Verabreichungsmenge. Der über den Daumen geschätzte Verkaufswert: 10.000 Euro. Dass ein findiger Apotheker die Kügelchen nicht potenziert, sondern nur die Fläschchen mit den Kügelchen etikettiert, das wollen wir einfach nicht hoffen, es würde unser Vertrauen in die Homöopathie erschüttern. 

Detaillierte Analyse rückt das Pandemiewunder Homöopathie zurecht

Zurück zu den homöopathischen Wundern in Zeiten der Cholera. Ein Dossier des "Informationsnetzwerks Homöopathie" analysiert die Pandemien vergangener Jahrhunderte und die von der Homöopathie für sich reklamierten Heilerfolge der letzten 200 Jahre mit Akribie und transparent. Der Homöopathie wird dabei in einzelnen Fällen durchaus ein relativer Erfolg zugestanden - und zwar dort, wo die Patienten den Trial-and-Error-Ansätzen der mit Pandemien in früheren Jahrhunderten heillos überforderten konventionellen Medizin entzogen wurden - und ihnen drastische Methoden wie künstlich herbeigeführtes Erbrechen und Durchfälle und die Verabreichung allerlei giftiger Substanzen erspart blieben. Schlüsse auf die Gegenwart können daraus aber nicht gezogen werden: "Der relative Erfolg der Homöopathie beruht sicher in großem Umfang darauf, dass man diese Fehlbehandlungen eben nicht durchgeführt hat. Heute aber ist die Situation wesentlich verändert. Zu allen hier aufgeführten Krankheitsbildern verfügt die heutige evidenzbasierte Medizin über wirksame Behandlungsverfahren oder effektive Möglichkeiten der Vorbeugung von Infektionen durch Impfen." 

Mit anderen Worten, die Homöopathie kann eines für sich in Anspruch nehmen: Keine Behandlung ist besser als eine schlechte  Behandlung. Eine Medizin wird daraus trotzdem nicht. (Christian Kreil, 19.10.2020)

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