Ungeliebtes Grün: Die ÖBB hat den Glyphosateinsatz entlang ihrer Bahntrassen reduziert, beim Großverbraucher Landwirtschaft ist das nicht der Fall.

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Wien – Bier, Muttermilch und Urin: Wer sich auf die Suche nach Glyphosatrückständen macht, wird rasch fündig. Das umstrittene Herbizid lässt sich in Europa nicht nur in Böden und Gewässern nachweisen, sondern auch im menschlichen Körper. Welche Gefahr von ihm für die Gesundheit und Biodiversität ausgeht, darüber diskutieren Wissenschafter seit Jahren, ohne auf einen gemeinsamen grünen Zweig zu kommen. Glyphosat wurde zum Symbol eines Machtkampfs wirtschaftlicher Interessen, dessen Fronten zwischen Politik, Landwirtschaft, Industrie und Umweltorganisationen zusehends verschwimmen.

Österreich versucht das Pestizid zu verbannen. Doch während SPÖ und Grüne dem weltweit genutzten Unkrautvernichter jeglichen Boden entziehen wollen, hält die ÖVP ihre schützende Hand darüber. Viele Landwirte sehen sich außerstande, darauf zu verzichten. Zwar darf Glyphosat hierzulande seit sieben Jahren nicht mehr gezielt als Erntebeschleuniger eine Woche vor dem Dreschen des Getreides gespritzt werden. Beim Anbau von Zwischenfrüchten ist es auf konventionellen Feldern jedoch Standard. Auch der Obst- und Weinbau bedient sich seiner reichlich.

Weiterwursteln

Seit Mittwoch ist klar: Das geplante Totalverbot wird sich weiter verzögern, denn Brüssel hat Bedenken dazu geäußert. Die EU-Kommission reagierte damit auf einen Gesetzesentwurf der SPÖ. Offen bleibt vorerst, wie die Antwort aus Brüssel formal zu werten ist.

Aus Sicht der Glyphosatgegner blieb die ausführliche, rechtlich bindende Stellungnahme aus. Die EU habe es bei einer Bemerkung zur fehlenden EU-Rechtskonformität belassen. Österreich könne damit erneut Anlauf für einen Glyphosatausstieg nehmen – so es die Politik will. Der Ball liege beim Parlament.

"Kein Alleingang"

Europarechtsexperte Walter Obwexer hingegen meint, dass für den nationalen Alleingang weiterhin die EU-rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Österreich sei unionsrechtlich verpflichtet, die Bemerkungen der EU-Kommission zu berücksichtigen. Obwexer wertet die Stellungnahme sehr wohl als "ausführlich".

Bedenken gegen einen Alleingang Österreichs meldeten auch die Tschechen an. Österreich schuldet ihnen eine Antwort, kann jedoch bis Mitte November an rechtlich haltbaren Lösungen arbeiten, betonen die Grünen. Länder wie Frankreich und Luxemburg zeigten es laut Greenpeace und Global 2000 vor, dass dem Pestizid auch ohne offiziellen Segen der EU die Zulassung entzogen werden kann.

Wille und Wege

Die SPÖ will dafür einen runden Tisch auf die Beine stellen. "Wir wollen die Giftrückstände in unserem Essen loswerden. Wo ein Wille, da ein Weg", sagt auch Olga Voglauer, Landwirtschaftssprecherin der Grünen. Sie sieht die zuständige VP-Ministerin Elisabeth Köstinger gefordert. Das Landwirtschaftsministerium interpretiert die Bemerkung aus Brüssel im Einklang mit dem Bauernbund allerdings als klare Absage an ein Verbot.

Was wiederum Helmut Burtscher, Experte der Umweltorganisation Global 2000, erzürnt. "Hier wird Diskurs zerstört. Das ist destruktive Politik." Aus seiner Sicht signalisierte die EU, dass sie Interessen der Glyphosatproduzenten nicht verbissen verteidige. Burtscher rechnet damit, dass die Pestizidindustrie Österreich im Falle eines Verbots klagt, wie sie es auch im Fall Frankreichs tat. "Das ist aber nichts, wovor man sich fürchten muss."

"Populismus und Panikmache"

Christian Stockmar, Chef der Syngenta und Obmann der Industriegruppe Pflanzenschutz, würde sich hingegen wundern, "wenn sich Österreich wissentlich gegen EU-Recht stellt". Er sieht für Glyphosat keine Alternative, spricht von Populismus und Panikmache in Österreich. Er mache Konsumenten keinen Vorwurf, offenbar kläre die Industrie zu wenig über Vorteile des Pestizids und strenge Zulassungsverfahren auf. Letztlich fehle es an Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft.

Biobauern wie Fritz Prem, Präsident des europäischen Bioobst-Forums, beobachten das Kräftemessen gelassen. Ein Fünftel der österreichischen Apfelflächen sei bio und kämen ohne Glyphosat aus, rechnet Prem vor. "Erst aus einem Verbot heraus entwickeln sich neue Technologien." Die Verbannung des Unkrautvernichters löst für ihn auch an anderer Front starke Umwälzungen aus. "Damit würde mit einem Handstreich ein zentraler Baustein der Gentech-Produkte wegfallen. Glyphosatresistente Pflanzen werden wertlos. Das bringt in Europa ein weltumspannendes Geschäftsmodell zu Fall." (Verena Kainrath, 19.8.2020)