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Romantisierte Sommerfrischeidylle Altaussee: ein Ort der Sehnsucht vieler Großstädter, massenhaft gesucht, aber kaum noch zu finden.

Foto: Picturedesk.com / Imagno / Archiv Seemann

"Ales zua, richtig still is’ es", bemerkt Josef Gaisberger. Und an diese Ruhe sollen sie sich gefälligst halten, die Zuagrasten, meint Josef Gaisberger. Er drückt es natürlich viel höflicher aus. Denn so ganz verschrecken, wie sein Bürgermeister es getan hat, will er die Touristen und Zweitwohnbesitzer ja auch nicht.

Immerhin ist er als Fischermeister am Altausseer See auch so etwas wie eine Respektsperson, und man lebt halt doch – und das gar nicht schlecht – vom Fremdenverkehr und den Zweitwohnbesitzern, die mittlerweile schon beinahe die Hälfte der Immobilien im Ort erworben haben.

Genau auf diese hatte es der Altausseer Bürgermeister – im Bunde mit seinen Kollegen der Nachbargemeinden – aber abgesehen, als er kürzlich in einem Schreiben an die steirische Landesregierung forderte, Besitzer eines Zweitdomizils müssten sich entscheiden, "ob sie diese Krise an ihrem Haupt- oder Zweitwohnsitz durchstehen wollen".

Es seien von Ordnungsorganen vermehrt "Autokennzeichen aus Graz, Wien und Linz" gesichtet worden, diese Gäste würden sich "den örtlichen Vorgaben und den Anordnungen der Bundesregierung widersetzen". Der Übertritt der Gemeindegrenzen müsse daher beschränkt werden. Auf grob Steirisch: Sie sollen dort bleiben, wo sie herkommen.

"Disziplinlos", seien sie, die Zweitwohnbesitzer, grollt der rüstige Über-80er Gaisbauer: "Wir müssen ja auch daheimbleiben." Nicht einmal zu seinen geliebten Fischen runter zum See könne er gehen.

Mittlerer Orkan

Die Altausseer müssten sich an die Coronaregeln halten, aber "die" – da meint er die Städter – "halten sich nicht an die Bestimmungen. Sie kommen her zu ihren Zweitwohnsitzen, fahren in der Gegend rum, was weiß ich wohin, und dann bringen’s womöglich die Viren und Infektionen mit."

Die Zweitwohnbesitzer, und derer gibt es in Altaussee eben viele, fühlen sich jetzt, tief gekränkt, vor die Tür gesetzt. Plötzlich sind sie Fremde im eigenen Land und werden auch als solche behandelt. In Internetforen lassen sie Luft ab, ein mittlerer Orkan zieht gegen die Altausseer auf, denen vorgeworfen wird, jetzt trete deren Fremdenfeindlichkeit zutage.

"Unser Geld wollen sie schon", setzte ein überaus grantiger, gar nicht so unbekannter Wiener Bohemien einen Tweet ab. Ein Anderer aus der Twitter-Blase sieht die ganze Aufregung hingegen mit Augenzwinkern: "Da wollen Menschen aus Wien oder anderen Städten jahrelang nichts sehnlicher, als Teil der dort heimischen Subkultur zu werden. Sie mieten oder kaufen sich ein, kaufen sich neue Hüte und alte Lederhosen. Nehmen Sprache und Gebräuche an, um dann in der Krise festzustellen, dass all ihre Bemühungen vergebens waren und sie am Ende doch ,Die Wiener‘ geblieben sind, die sie von Anfang an waren."

Wasser abgedreht

Die Altausseerinnen und Altauseer sind aber eh noch milde. In Kritzendorf im Bezirk Tulln in Niederösterreich wurde den dortigen Zweitwohnbesitzern einfach das Wasser abgedreht. Die Stadt Klosterneuburg hatte beschlossen, das Wasser nicht aufzudrehen, um in Zeiten der Coronavirus-Krise "das Pendeln zwischen zwei Wohnsitzen einzudämmen", hieß es.

Apropos Wasser: Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ließ jetzt anordnen, dass nur noch nahe wohnende Burgenländer das Neusiedlersee-Areal betreten dürfen. Burgenland den Burgenländern. Von draußen aus der Großstadt könnte ja das Virus kommen. Altausseer Weisheit.

Tiefe Sehnsucht

Orte wie Altaussee oder Plätzchen am Neusiedlersee sind Synonyme für die Suche nach der Idylle, der Romantik alter Sommerfrische. Das Ländliche, Erdige, Ursprüngliche war immer schon – bereits in der Antike – ein "Sehnsuchtsort" wie es Friedrich Torberg 1942 im Exil für sein Altaussee formuliert hatte.

Musterbeispiel Altaussee: Es war in jüngerer Vergangenheit zuerst der Adel, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts dem Kaiser in Bad Ischl nahe sein wollte und ins Salzkammergut nachreiste. 1847 ist der erste Zweitwohnsitz in Altaussee verbrieft.

Sommerfrische-Berühmtheit

Der Offizier und Schriftsteller Joseph Christian Freiherr von Zedlitz errichtete als erster Künstler "aus Liebe zur Natur und dem Entzücken über diese wunderbare Landschaft" sein "Seehaus". Später kamen Schriftsteller wie Hugo von Hofmannsthal Arthur Schnitzler oder Friedrich Torberg, auch Sigmund Freud und Gustav Mahler nach.

Sie alle machten Altaussee durch ihre schiere Anwesenheit zur österreichischen Sommerfrische-Berühmtheit. Altaussee könnte als Prototyp eines Sehnsuchtsortes für Städter, wenn es der Zufall gewollt hätte, sicher auch ganz woanders liegen. Österreich verfügt ja über eine Vielzahl an idealtypischen Entschleunigungsorten.

Erhabene Gefühle

Nicht nur Österreich hat Derartiges zu bieten. Man denke etwa an das schweizerische Sils Maria, das für Hermann Hesse und andere Künstler zur zweiten Heimat wurde. "Wir sind hier restlos begeistert und schlürfen die Luft der Gemsen wie französischen Champagner", schrieb der Komponist Richard Strauss 1947 aus dem Engadin.

Schriftsteller wie Max Frisch, Thomas Mann oder Kurt Tucholsky genossen hier diese Einschicht, Friedrich Dürrenmatt, Albert Einstein waren ebenso hier. Friedrich Nietzsche lebte karg in einem kleinen Engadiner Häuschen.

Diese damals geübte Bescheidenheit der Sommerfrischler ist längst aus der Mode gekommen. Die Natur, das Plätschern des Baches, das Läuten der Kuhglocken und die Heuernte wollen in einem doch eher luxuriösen Ambiente genossen und das tagsüber bei Spaziergängen Erlebte bei einem guten Tropfen und delikater Haubenküche am Abend reflektiert werden.

"Es ist ein Privat-Vergnügen – vor allem für Neu-Eliten, die sogenannten Raumpioniere, die dem Leben der Stadt entrinnen und es sich leisten können, auf das Land zu ziehen, um verödete und verlassene Räume neu zu besetzen.

Es sind Nomaden, die wie Außerirdische in der Provinz landen", formulierte es einmal der Kulturgeograf Marc Redepenning. Und da ist auch dieses erhabene Gefühl, zur Elite zu gehören, dort wo – wie in Altaussee – auch die Androschs und Mateschitz verweilen und dort mächtig ins Tourismusgeschäft investieren.

Man gehört dazu – aber plötzlich kommt dieses Virus daher und vermiest die schönLandromantik. Und nichts ist es mehr mit Stammtischsitzungen.

Die Einheimischen erlassen vielmehr eine rücksichtslose Regel des Social Distancings: Inländer raus. In ihnen keimt wieder etwas auf, das Sozialpsychologen als "soziale Identität" bezeichnen würden.

Die fremde Gruppe

Bei einer Bedrohung von außen ist sie rasch gebildet, die einende und abwehrende "Gruppenidentität". Dann ist man Altausseer oder Burgenländer. Das Prinzip "Eigengruppe versus Fremdgruppe", funktioniert immer, wie in einer Vielzahl sozialpsychologischer Studien nachgewiesen wurde.

Es beginnt schon im gesellschaftlichen Mikrokosmos, wenn die ansässigen Speckgürtelbewohner gegen die "Zuwanderer" aus der Stadt schimpfen, wenn das obere Dorf gegen das untere Dorf polemisiert.

Im Fußballmatch der Bezirksliga ist das Dorf aber wieder geeint, wenn es gegen die Nachbargemeinde geht. Und natürlich fühlt man sich – wenn’s darauf ankommt – übergeordnet als Mühlviertler, Murtaler oder Wiener. Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, sich als Tiroler, Steirer oder Kärnten zu outen, wenn die gemeinsame Identität der Geburtsregion gefragt ist.

Der Gruppenzusammenhalt reicht in Ausnahmefällen, wenn die Republik von außen kritisiert wird oder bei Länderspielen sogar für eine "Wir-sind-Österreicher"-Identität. Das Gefühl der Gruppenzugehörigkeit hört spätestens bei Europa auf.

Das ist eine Dimension zu weit weg, da bleibt man lieber in der kleinen, aber sicheren Selbstbestimmtheit als Altausseer oder Burgenländer unter sich, mit dem Kirchturm als Horizont.

Da können die Städter kommen und noch so viele Lederhosen und Dirndln kaufen, in diese "lokale Identität" werden sie nicht integriert. Sie werden immer die "Zuagrasten" bleiben. Mit oder ohne Virus. (Walter Müller, 18.4.2020)