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Fabiano Caruana aus den USA steht auf der Favoritenliste ganz oben.

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Ebenfalls verdächtig ist Ding Liren aus China.

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Teimur Radschabow war die Sache nicht geheuer. Schon vor mehr als einer Woche zog der aserbaidschanische Großmeister seine geplante Teilnahme am Kandidatenturnier zur Ermittlung des nächsten WM-Herausforderers zurück. Der Weltschachbund Fide hatte Radschabows Bedenken im Hinblick auf die gesundheitlichen Risiken bei dem von 17. März bis 3. April in Jekaterinburg, Russland, auszutragenden Turnier nicht wirklich zerstreuen können. Also warf der Aseri das Handtuch, und die französische Nummer eins, Maxime Vachier-Lagrave, rückte statt Radschabow ins Feld der nur acht Kandidaten nach.

Die überschaubare Teilnehmerzahl ist auch der Grund dafür, warum eine realistische Chance besteht, dass das doppelrundig ausgetragene Marathon-Turnier ab Dienstag trotz Corona-Pandemie über die Bühne geht. Außer den acht Spielern muss sich während der 14 Runden laut Reglement nur der Schiedsrichter im Raum befinden, Zuschauer und Presse werden abgeschirmt, auf den beim Schach sonst obligatorischen Handshake zu Beginn und Ende der Partie darf laut Aussendung der Fide diesmal ausnahmsweise verzichtet werden. Desinfektionsmittelspender und die für ein Schachturnier unübliche Anwesenheit einer Krankenschwester runden die bisher angekündigten Vorsichtsmaßnahmen der Organisatoren ab.

Die acht Teilnehmer

Neben dem schon erwähnten Nachrücker Maxime Vachier-Lagrave aus Frankreich haben sich der US-Amerikaner Fabiano Caruana, die Chinesen Ding Liren und Wang Hao, die Russen Alexander Grischtschuk, Jan Nepomniaschtschi und Kirill Alekseenko (RUS) sowie der Niederländer Anish Giri für das Ringen am Ural um das Ticket zum WM-Zweikampf qualifiziert, Alekseenko wohlgemerkt durch eine Wildcard von Veranstalter Russland.

Die Favoriten stehen außer Frage. Der Italoamerikaner Fabiano Caruana, der bereits das vergangene Kandidatenturnier 2018 in Berlin für sich entscheiden konnte und danach im Zweikampf gegen Weltmeister Carlsen erst im Schnellschach-Tiebreak unterlag, steht als Nummer zwei der Weltrangliste auf dem Zettel ganz oben. Erst im Jänner gewann der 27-Jährige das auch als "Wimbledon des Schachs" bezeichnete Traditionsturnier im niederländischen Wijk aan Zee mit dem fabelhaften Resultat von zehn Punkten aus 13 Partien, wobei er Magnus Carlsen um volle zwei Punkte distanzieren konnte.

Der zweite Hauptverdächtige heißt Ding Liren (27), neben Caruana der einzige Teilnehmer, der aktuell oberhalb der magischen Elo-Schallmauer von 2800 Punkten notiert. 2018 erreichte der damals noch als Außenseiter ins Berliner Kandidatenturnier Gegangene den vierten Platz und blieb als Einziger über die volle Distanz ungeschlagen. Seither hat sich der Chinese fest in der absoluten Weltspitze etabliert.

Ein Problem für Carlsen?

Viele trauen ihm am ehesten zu, Magnus Carlsen in einem Zweikampf zum Straucheln zu bringen, verfügt Ding doch, im Gegensatz zu Caruana, auch im Schnellschach über herausragende Fähigkeiten. Das könnte – im Fall des Falles wohlgemerkt – die weltmeisterliche Strategie der letzten beiden WM-Matches, in den Partien mit langer Bedenkzeit wenig zu riskieren und dann im Tiebreak mit reduzierter Bedenkzeit zuzuschlagen, erheblich durcheinanderbringen.

Außenseiter und Gesetze

Außenseiterchancen darf man Ersatzmann Vachier-Lagrave (29) zubilligen, der in mehreren wichtigen Turnieren des vergangenen Jahres fast ganz vorne lag und die Qualifikation ein ums andere Mal haarscharf verpasste, was durch Teimur Radschabows Rückzieher dann irrelevant geworden ist. Auch den beiden Russen Alexander Grischtschuk, mit 37 Jahren der erfahrenste Spieler im Feld, sowie Jan Nepomnjaschtschi (29), derzeit Nummer drei respektive vier der Weltrangliste, muss gerade bei ihrem Heimturnier unbedingt ein Überraschungserfolg zugetraut werden.

Aber: Kandidatenturniere haben wegen der hohen nervlichen Belastung sowie der langen Dauer eigene Gesetze, wie die jüngere Schachgeschichte beweist. Außer einem Sieg von Wildcard-Inhaber Kirill Alekseenko (22) scheint prinzipiell alles möglich, weshalb ein besonders spannendes Turnier erwartet werden darf – sofern es den Teilnehmern gelingt, sich trotz der unsicheren Weltlage auf ihr Spiel zu konzentrieren – und sofern Schachgöttin Caissa weiterhin schützend die Hand über dieses letzte nicht abgesagte, bedeutende Sportevent hält.

Die Millionen Schachfans in aller Welt, die sich seit Monaten auf die Verfolgung der Partien via Internet freuen, würden es ihr und den acht Kandidaten angesichts der außergewöhnlichen Umstände wohl besonders danken. (Anatol Vitouch, 15.3.2020)