Digitale Zahlungsmethoden sind praktisch, Anonymität gewährt aber eigentlich nur Bargeld. Die EZB will mit einem digitalen Euro den Spagat versuchen, beides unter einen Hut zu bekommen.
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Die Tage des Bargelds dürften gezählt sein – was manche fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Dennoch, in immer mehr Geschäften können Kunden mit Kreditkarte oder mobilen Bezahldiensten bezahlen. Die Europäische Zentralbank (EZB) zieht den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr, die EU-Kommission plant die Abschaffung der Ein- und Zwei-Cent-Münzen, und in Schweden, wo man heute beim Bäcker oder im Bus ganz selbstverständlich bargeldlos bezahlt, soll das Bargeld bis 2023 gänzlich auslaufen.

Nach dem Hype um die Kryptowährung Bitcoin und Facebooks Libra-Vorstoß arbeiten mittlerweile auch einige Zentralbanken, darunter die EZB, an eigenen Digitalwährungen. Während Behörden frohlocken, dass mit der Abschaffung des Bargelds dubiose Geldströme und das Geschäft der organisierten Kriminalität trockengelegt werden, befürchten andere staatliche Überwachung und eine Einschränkung ihrer Privatsphäre.

Gin und Zigaretten

Im Gegensatz zum Bargeld kann bei der Bezahlung per Kreditkarte oder App jede Transaktion nachvollzogen werden: wo man nachts an der Tankstelle noch eine Flasche Gin kauft, ob man Zigarettenstangen erwirbt oder wie häufig man in der Apotheke Schmerztabletten holt. Daraus erstellen Algorithmen Risikoprofile, die auch unbescholtene Bürger unter Verdacht stellen können, weil in den statistischen Modellen der Kauf eines Vorschlaghammers mit höherem Risiko gewichtet wird – auch wenn das Werkzeug nicht zu Einbruchszwecken, sondern für Handwerkertätigkeiten im eigenen Garten gebraucht wird. Doch das interessiert Algorithmen nicht – sie operieren immer nur stur nach Schema F.

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Die EZB will mit einem Gutscheinmodell Anonymität gewährleisten.
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Die EZB hat nun als Mittelweg die Einführung sogenannter "anonymity vouchers" vorgeschlagen, die im Rahmen einer Digitalwährung als eine Art Sonderwährung ausgegeben würden und die Anonymität der Zahlung gewährleisten sollen. Das Modell funktioniert so: Wenn eine Person X Geld an eine Person Y überweisen will, hängt der Intermediär, sprich die Bank, den von einer – noch einzurichtenden – Antigeldwäschebehörde emittierten Gutschein an die digitalen Geldeinheiten an und transferiert den Betrag an das andere Bankinstitut. In diesem Fall würden die Behörden keine Kenntnis des Verwendungszwecks erlangen. Voraussetzung ist allerdings, dass auch der Zahlungsempfänger diese Voucher bei der Transaktion einsetzt. Die Zahl dieser Gutscheine würde begrenzt.

Ein Stück Freiheit

Die Digitalwährung, die unter dem Stichwort "E-Euro" diskutiert wird, soll ähnlich wie Bitcoin auf einer kryptografisch gesicherten Blockchain-Plattform laufen. Mit dem Konzept wollen die Währungshüter ein Stück Freiheit im digitalen Rechtsverkehr bewahren. "Die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft stellt eine riesige Herausforderung für das Zahlungssystem dar, das eine Balance zwischen einem gewissen Grad an Privatsphäre im elektronischen Zahlungsverkehr und die Einhaltung von Regulierungsvorschriften zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorfinanzierung erfordert", heißt es in dem Papier.

Die Idee ist nicht neu. Auch die chinesische Zentralbank will bei ihrer geplanten Digitalwährung ein Stück weit Anonymität gewähren, wobei die "kontrollierte Anonymität", von der in Medienberichten die Rede ist, auf ein höheres Maß an Überwachung schließen lässt. Eine Blockchain, mag sie noch so dezentral sein, ist ja gerade das Gegenteil von Anonymität, weil sie wie bei einem Kassenbuch jede Transaktion protokolliert. Was also ist von den Plänen der EZB zu halten?

Anzahl limitiert

Der kanadische Wirtschaftswissenschafter und Finanzmathematiker Darrell Duffie, der an der Stanford University lehrt und ein international anerkannter Experte für Digitalwährungen ist, sagt dazu: "Die Gutscheine erlauben keine volle Anonymität insofern, als ihre Anzahl limitiert ist. Große Transaktionen würden von den Antigeldwäschebehörden sicherlich geprüft werden." Für kleinere Transaktionen stelle sich die Frage des Vertrauens und der Cybergefahren.

"Wenn man den Behörden vertraut, dass sie keine Hintertüren etwa für die Geheimdienste eingebaut haben, bleibt die Sorge, dass Kriminelle die Transaktionsdaten hacken könnten", so Duffie. Erst im vergangenen Jahr haben Cyberkriminelle mit einer raffinierten Angriffstaktik 7000 Bitcoin im Wert von 40 Millionen Dollar an der Kryptowährungsbörse Binance erbeutet. Der Hack war einer der spektakulärsten Überfälle im Netz. Nordkoreanische Hackertrupps sollen laut einem UN-Bericht zwei Milliarden Dollar von Banken und Bitcoin-Börsen entwendet haben.

Anonymität als Illusion

Von der Datensicherheit hängen der Datenschutz und mithin die Privatsphäre ab. Der Computerwissenschafter Florian Tramer, der ebenfalls an der Stanford University forscht, hat in einer Untersuchung gezeigt, dass Angreifer durch das Ausnutzen von Schwachstellen in Kryptowährungen wie Monero und Zcash bei anonymen Zahlungen den Zahlungsempfänger und sogar dessen IP und Zahlungshistorie ausfindig machen können. Anonymität im Netz war schon immer eine Illusion.

Es mag vielleicht etwas nostalgisch klingen, aber möglicherweise ist Bargeld doch die robusteste und sicherste Technologie gegenüber Eingriffen in die Privatsphäre. Zumindest kann damit die Anonymität beim Bezahlen gewahrt bleiben. (Adrian Lobe, 16.2.2020)