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STANDARD: Herr MacShane, was machen Europafreunde wie Sie am 31. Jänner?

MacShane: Ich hatte vor dem Referendum vorhergesagt, dass es zum Brexit kommen würde ...

STANDARD: ... in Ihrem Buch "Brexit: Wie Britannien Europa verlassen wird" ...

MacShane: ... war also seit langem darauf vorbereitet. Insofern ist der 31. Jänner für mich ein ganz normaler Arbeitstag. Und am 1. Februar stehe ich auf und denke darüber nach: Wie geht es weiter? Welche Lösung finden wir? Eines ist ganz klar: Wir bleiben auch in den nächsten 1.000 Jahren eng mit Europa verbunden.

STANDARD: Ihr neues Buch heißt "Brexiternity", verbindet den EU-Austritt mit der Ewigkeit. Warum?

MacShane: Schauen Sie auf die britische Geschichte: Bestimmte Probleme beschäftigen uns wirklich eine Ewigkeit, ehe wir zu einer Lösung kommen. Zum Beispiel Irland: Der spätere Premier Benjamin Disraeli brachte "die irische Frage" erstmals 1844 im Unterhaus auf. Die Vereinbarung über die Unabhängigkeit kam 1921! Und in gewisser Weise dauerte es bis zum Karfreitagsabkommen 1998, bis die Iren die Dämonen der Teilung überwinden konnten. Jetzt hat der Brexit die irische Frage wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

STANDARD: Gehört der Brexit zu den letzten Zuckungen des Empire?

MacShane: Er reflektiert gewiss das Gejammere über den Verlust und die Nostalgie nach dem globalen Britannien.

STANDARD: Einst gehörte rund ein Viertel der Erdoberfläche zum britischen Empire.

MacShane: Und vergessen Sie auch nicht, dass mein Land in den vergangenen Jahrhunderten nie die Erfahrung eines verlorenen Weltkriegs gemacht hat, nie besetzt wurde, nie den Zusammenbruch aller staatlichen Strukturen erlebte. Insofern sind wir anders als alle anderen europäischen Länder.

STANDARD: Premierminister Boris Johnson gewann die Wahl mit dem Slogan "Get Brexit done" (den Brexit vollenden). Wie realistisch ist das?

MacShane: Ich ziehe meinen Hut vor Johnsons Leuten, denen diese Phrase einfiel. So gewinnt man Wahlen. Johnson kann hervorragend mit Sprache umgehen. Aber alle Welt weiß: Der Brexit ist in keiner Weise vollendet. Wir haben das Stadion betreten und uns aufgewärmt, aber das Match hat noch nicht einmal begonnen.

STANDARD: Und wer bestimmt die Regeln?

MacShane: Gute Frage. Die EU sagt: Wir spielen nach unseren Regeln. Johnson möchte zwar Fußball spielen, aber auch ein wenig Rugby – und in einer Ecke Cricket, schließlich sind wir Engländer. Das wird noch zu riesigen Problemen führen. Wir werden Jahre brauchen. Übrigens wissen wir ja noch nicht einmal, welche Art von Amputation sich Johnson eigentlich wünscht. (Sebastian Borger, 16.1.2020)