Sie schauen nicht so aus, tragen sich aber eigentlich recht bequem: die hohen Plateau-Stilettos, die zum Bild der gemeinen Poledancerin gehören wie die Faust aufs Auge. "Kann man das nicht wenigstens in etwas geschmackvolleren Stilettos machen?", frage ich Ines, die prompt in einen Längsspagat springt.

Es macht ein lautes "Klack", als die Vorderseite der Schuhe aufs Parkett knallt. Meine Sehnen reißen schon vom Zuschauen. "Das kann ich mit anderen hohen Schuhen nicht machen. Das Plateau hat schon eine schützende Funktion", erklärt sie wie die Lehrerin, die sie ist. Die 33-Jährige hat Englisch und Latein auf Lehramt studiert, ihr Unterricht findet aber an der Stange statt.

Getanzt wird in Plateauschuhen.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Ines Beranek ist seit zehn Jahren Poledancerin. An der Uni, die sie während eines Auslandssemesters in Nottingham besuchte, gab es eine eigene Poledance-Society. Als sie nach Wien zurückkam, wollte sie weitermachen – nur: Es gab kein Angebot. Also nahm sie die Sache im zarten Alter von 23 Jahren selbst in die Hand. Eines Tages wollten ihre Eltern mit ihr ein ernsthaftes Gespräch führen. Ines befürchtete, dass sie ihr anraten würden, sich aufs Studium und nicht aufs Tanzen zu konzentrieren. Stattdessen zahlten sie ihr das Erbe vorzeitig aus: fürs erste Studio.

Schon während der Suche nach passenden Räumlichkeiten legte Ines eine Website an, auf der noch nicht einmal Kurse angekündigt waren. Als sie zwei Monate später in den Mailaccount schaute, befanden sich darin 60 Nachrichten von Leuten, die auf der Suche nach einem Angebot für Poledance in Wien auf sie gestoßen waren. Da wusste sie, dass ihr Konzept aufgehen würde. Heute, zehn Jahre später, gehen in den mittlerweile vier Studios von Poledance Vienna 14.000 Menschen, vor allem Frauen, ein und aus. Neben Poledance kann man Stretching und Yoga lernen, sich an Seilen oder Trapezen gütlich tun, lap-, chair- und mehr dancen.

Mehr Akrobatik als Strip

Poledance hat längst seinen Siegeszug angetreten. Viele betreiben den Sport schlichtweg zum Kraftaufbau, barfuß und in sportlich knapper Activewear. Das hat dann mehr mit Zirkusakrobatik zu tun als mit dem in den Köpfen noch immer verankerten Bild vom Stripclub. Interessengemeinschaften wie die International Pole Sports Federation arbeiten seit Jahren daran, dass Poledance zu einer olympischen Disziplin wird. Auch in Österreich finden immer wieder Wettkämpfe statt. Die Choreografien dauern nur wenige Minuten, mehr ist schlichtweg körperlich nicht möglich – so anstrengend ist der Sport.

Ines Beranek hat Poledance in Nottingham bei einem Auslandssemester kennengelernt.
Foto: Heribert Corn / www.corn.at

Als Ursprung des Stangentanzes gilt der 1135 vor Christus erstmals belegte Mallakhamb; auch heute turnen indische – notabene – Männer noch um einen Holzpfahl. Poledancing entwickelte sich im Vancouver der 70er- und 80er-Jahre als vorwiegend "weibliche" Disziplin, die meist im erotischen Kontext ausgeübt wird. Der Bekanntheitsgrad erhöhte sich durch die US-amerikanische Popkultur mit ihren Musikvideos und Filmen, in denen Poledance meist mit Striptease gleichgesetzt wird, oft schmuddelig oder gar obszön wirkt.

Tatsächlich ist Poledance als Trendsport mittlerweile eher in Fitnesscentern und Studios verankert. Die Trainerinnen tanzen an der Stange zu Musik vor, die Teilnehmerinnen machen es nach. Auch wenn die Frauen auf unseren Fotos schlank sind, betont Beranek, dass ganz unterschiedliche Körpertypen den Sport ausüben.

In Janas* kleinem Wohnzimmer steht so eine Pole prominent in der Mitte des Raumes. Die Lehrerin zeigt mir einen "Shoulder Mount". Sie lehnt sich mit dem Schulterblatt an die Stange, greift kopfüber und hievt sich in die Höhe. "Mit Gewand geht das jetzt nicht so gut. Wir sind ja leicht bekleidet, weil wir mit der Haut an der Stange kleben müssen." Jana interessiert der akrobatische Aspekt, sie tanzt aber auch in Heels, das ist die "exotic" genannte, erotische Spielart von Poledance.

"Viele Leute stört eigentlich, dass es eine Sportart ist, bei der Frauen Macht über ihren eigenen Körper ausüben." Jana, Poledance-begeistert

Warum aber überhaupt einen Sport wählen, bei dem Sexiness eine Rolle spielt? "Manchmal bekomme ich Mails, in denen Frauen eine Choreografie für ihren Mann lernen wollen, zum Valentinstag zum Beispiel. Aber jene, die bei Poledance bleiben, tun das nicht für jemand anderen", sagt Beranek. Diese Einschätzung teilen auch die anderen befragten Frauen, die Sport und Tänze mit erotischer Komponente ausüben.

Wenn man's kann, sieht es so aus.
Foto: Heribert Corn

Die 33-jährige Laura* etwa, Studentin der bildenden Kunst, hat das Twerken für sich entdeckt. Das konzentriert sich auf Bewegungen des Beckens und des Hinterns, der durch An- und Entspannen zum Wackeln und Zucken gebracht wird. "Während ich twerke, denke ich nicht an die Sexiness, es ist eher anstrengend. Aber natürlich weiß ich, dass der Tanz so konnotiert ist. Als Kind wackelt man noch fröhlich mit dem Hintern, dann wird das tabuisiert, die weibliche Sexualität im Allgemeinen. Das Twerken bringt mir diesen spielerischen Zugang zu diesem Körperteil zurück." Das Tabuisieren der weiblichen Sexualität war auch für Jana ein Grund, mit Poledance anzufangen. "Mein Ex-Mann war gewalttätig und auch einer, der einen für eine ,Hure‘ hält, wenn man ihn verlässt. Nachdem ich das wider sein Erwarten gemacht habe, dachte ich mir: ‚Geschieht dir recht, jetzt geh ich erst recht an der Stange tanzen.‘" Für Jana, die auch davor diverse Tänze ausprobiert hatte, war Poledance eine Möglichkeit, sich selbst wieder in ihrem Körper wohlzufühlen, Selbstbewusstsein zurückzuerlangen.

In die Luft geht es erst ab Level drei. Davor müssen Poledancerinnen genug Muskeln aufbauen, um sich an der Stange halten zu können – harte Arbeit, damit es leicht aussieht.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Tanz die sexuelle Selbstbestimmung!

Die Freude am eigenen Körper, das Sich-selbst-Zelebrieren betont auch Kate de Vienne, die in ihrer Freizeit Burlesque-Kurse gibt. Für Auftritte wird sie viel öfter von Frauen gebucht als von Männerrunden. Frauen, die den Glamour des "Old Hollywood" faszinierend und nostalgisch schön finden, die träumen wollen. In ihren Workshops trifft sie oft auf Teilnehmerinnen, die sich mit gewissen Körperpartien unwohl fühlen; sie zeigt ihnen Alternativen. "Bei Burlesque geht es ums Drama. Wenn man seine Hände toll findet, dann fokussiert man eben darauf, zieht sich zum Beispiel einen Handschuh ganz langsam aus."

Die quirlige Sabine* dagegen, eine Stangenanbeterin, hätte gar nichts dagegen gehabt, deutlich mehr auszuziehen. Stripperin wäre sie geworden, wenn die gesellschaftlichen Konventionen sie nicht doch davon abgehalten hätten. Nun macht die Marketingleiterin Poledance in ihrer Freizeit. Sie strahlt über das ganze Gesicht, wenn sie darüber redet: "Wenn ich tanze, fühle ich mich empowert", bringt sie den Reiz der Stangenakrobatik auf den Punkt. Alle befragten Frauen nennen sie als Hauptgrund für ihre Freizeitgestaltung: die Selbstermächtigung. Und davon abgeleitet die sexuelle Selbstbestimmung.

Dass Frauen nur die Bestätigung von Männern suchen würden, sich dem "male gaze" aussetzen, stimmt für viele Poledancerinnen nicht. Sie betreiben ihr Hobby im Studio unter Frauen oder allein zu Hause, wollen schwierige Figuren meistern und in einer Gruppe sein, die sie unterstützt. Und selbst jene, die vor Männern tanzen, tun es eben vor ihnen, aber nicht für sie. Natürlich treiben diese Frauen andere Fragen um, als wenn sie einfach Volleyball spielen würden. Sabine, die lesbisch ist, würde gern auf queeren Partys tanzen, weiß aber nicht, ob das dort gern gesehen ist. Laura denkt über Cultural Appropriation nach, deren sie sich als weiße Frau eines Tanzes wie Twerk, der aus der Black Culture kommt, schuldig macht. Sie alle haben andere Zugänge, wie sie in sozialen Medien mit ihrem Hobby umgehen, wann, wem und warum sie davon erzählen.

Dass von fünf Frauen nur eine mit ihrem richtigen Namen in diesem Artikel erwähnt werden will, verrät viel darüber, wie mit dem Feiern weiblicher Sexualität gesellschaftlich umgegangen wird. "Es gibt diese "double Standards", die durch das Patriarchat definiert sind: Einerseits soll eine Frau als Sexobjekt zur Verfügung stehen, ein Dirndl mit großem Dekolleté tragen, aber wenn eine Frau ihre Sexualität selbst definiert und entscheidet, wer sie anschauen kann und wer nicht, dann ist das ein Problem. Ich glaube, viele Leute stört eigentlich, dass es eine Sportart ist, bei der Frauen Macht über ihren eigenen Körper ausüben. Wirklich weit sind wir also nicht gekommen", fasst Jana zusammen. (Amira Ben Saoud, 1.12.2019)

*Namen geändert