Friederike Mayröcker zeigt einen kleinen Snoopy aus Plastik, der ihr zum wertvollen Trostgeschenk geworden ist, Kathrin Röggla ist mit einer akustischen Phobienliste von A wie Ablutophobie bis Z wie Zoophobie vertreten, und Josef Haslinger hat ein Marmeladeglas mit Sand in diese Ausstellung gestellt. Die Ausstellung Keine/Angst vor der Angst, die im Rahmen der diesjährigen Erich-Fried-Tage am Dienstag in Wien eröffnet wird und für die über zwanzig Schriftstellerinnen und Schriftsteller ganz Unterschiedliches beigetragen haben, beweist einmal öfter, dass Angst viele Facetten hat.

Haslinger wird am kommenden Freitag einen Preview auf sein Buch "Mein Fall" geben und anschließend mit Ariadne von Schirach und Kathrin Röggla diskutieren.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Er hat es nicht mehr sofort finden können, erzählt Josef Haslinger am Telefon, das Glas mit jenem Sand, der aus den Gegenständen herausgerieselt ist, die ihm und seiner Familie nach Wien zurückgeschickt worden waren und die er zuvor in einem Hoteltresor weggesperrt hatte. Im Jahr 2004 hatte die Familie Haslinger ihren Weihnachtsurlaub auf einer thailändischen Insel verbracht, sie wurden vom Tsunami überrollt, aber alle vier haben die Katastrophe überlebt. Für Haslinger ist dieses Marmeladeglas eine Art Memento mori, „das aber gar nicht mehr so zentral in meinem Leben steht“, sagt er. Sonst hätte er nicht so lange danach suchen müssen – für die heurigen Erich-Fried-Tage, die ein wichtiges Thema in den Fokus rücken: Angst. Keine/Angst.

Literarischen Schreckensbilder

Augenscheinlich ist – und nicht nur für einen Schriftsteller wie Haslinger, dessen Aufgabe es ist, die Dinge ein Stück weit genauer zu beobachten als andere –, dass alltägliche Ängste enorm zugenommen haben. Früher, erinnert sich der Bauernsohn aus dem Waldviertel, gab es die Furcht vor konkreten Dingen: vor Kriegen, Unwettern oder Ernteausfällen. Heute regieren sehr diffuse Ängste. Haslinger hält die Kierkegaard’sche Unterscheidung zwischen Furcht und Angst für eine sehr sinnvolle. Aber Keine/Angst, wie der Veranstaltungstitel das eventuell einfordert, geht das überhaupt?

„Angst ist ein Gefühl, das sicher etwas Lebensnotwendiges hat, das einen warnt und anspornt, genauer hinzuschauen, einem sagt, ob man bleiben oder flüchten soll“, weiß Haslinger, aber er weiß gleichzeitig auch um die sehr effizienten Angstvermeidungs- und Angstverdrängungsstrategien der Gesellschaft.

Keine/Angst: Die Erich-Fried-Tage finden vom 26.11. bis 1.12. im Literaturhaus Wien statt.
Foto: Erich-Fried-Gesellschaft

Nennt man Haslinger im Gespräch einen Angstexperten, winkt er ab. Er sei nur jemand, der durch gewisse Erfahrungen der Angst gegangen ist. Das aber gleich mehrfach. Literarische Schreckensbilder und Strategien der Angstüberwindung lautet der Untertitel der Fried-Tage, und der scheint gleich zweifach auf Josef Haslinger zugeschnitten. Vom Schriftsteller, der mit dem Roman Opernball bekannt wurde und der seit 1996 am Literaturinstitut Leipzig lehrt, ist zum einen im Jahr 2007 Phi Phi Island.

Ein Bericht über ebenjene Tsunami-Katastrophe erschienen, die er und seine Familie überlebt haben. Zum anderen wird demnächst von Haslinger ein neues Werk veröffentlicht. Das Buch heißt Mein Fall, und es wird wieder – aber anders – vom Überleben, von literarischen Schreckensbildern und von Angstüberwindung handeln.

Komplette Orientierungslosigkeit

Womit wir wieder bei Kierkegaard und seiner hilfreichen Unterscheidung von Furcht und Angst angelangt sind: „Ich habe mich vor den Personen, die mich missbraucht haben, ja nicht gefürchtet“, sagt Josef Haslinger: „Aber da war eine große Angst!“

Mein Fall thematisiert die Verzweiflung und komplette Orientierungslosigkeit, die sich in jemandem auftut, der missbraucht wird: Bin ich schwul? Was bin ich überhaupt? Die Patres, erzählt Haslinger, hätten gleichzeitig Homosexualität als Perversion verdammt und uns Schüler in ebenjene schwulen Praktiken verwickelt. Und mehr noch: „Die Missbrauchsleute haben sich ja durch eine besondere Freundschaft hervorgetan. Das alles hat das eigene Empfinden und Denken vollkommen infrage gestellt“, sagt Haslinger heute.

Jahrzehntelang war seine Strategie eine Verdrängungs- und Verharmlosungsstrategie. Schweigen oder es herunterspielen. Er wollte nicht, dass ihn „so etwas“ im Erwachsenenalter bestimmt, wollte die Kindheit, Jugend, seine Traumata hinter sich lassen. Über weite Strecken, sagt der Schriftsteller, sei er damit gut gefahren. Heute weiß er, dass ihn diese Ängste sehr geprägt und – mehr noch – ihn nie losgelassen haben.

Josef Haslinger, "Child in Time", € 20,60 / 124 Seiten. Faber & Faber 2019
Foto: Faber-&-Faber-Verlag

Mit dem Erzählband Child in Time (mit Fotografien von Maix Mayer), der im Herbst erschienen ist, und konkret in der Erzählung Im Spielsaal hat er das Thema erstmals wiederaufgenommen, sich im Schreiben angenähert – an das Zisterzienserkloster Stift Zwettl, an den Pater Gottfried und an die Tatsache, dass es zwischen einem Elfjährigen und einem damals 29-Jährigen keine gleichberechtigte Sexualität geben kann: „Der war immer der Stärkere, und das sitzt einem sprichwörtlich ein Leben lang im Nacken.“ Die Angst, das Wort, braucht Haslinger dann gar nicht mehr auszusprechen.

Soziale Identität

Acht Jahre lang hat er sich geweigert, zur Klasnic-Kommission zu gehen und seine Geschichte zu Protokoll zu geben, obwohl er sich öffentlich immer wieder beim Thema Missbrauch zu Wort gemeldet hat. Geschafft hat er das erst, als er durch Zufall erfahren hat, dass der besagte Pater Gottfried verstorben ist. „Ich hätte das früher tun sollen“, sagt Haslinger.

Warum er das nicht gemacht hat? War es die Angst vor einem, der übermächtig und der Teil einer Klostergemeinschaft war, mit denen das Elternhaus stark verbunden war? „Pater Gottfried hat mich zwei Jahre missbraucht und war gleichzeitig mit meinen Eltern befreundet“, erzählt Haslinger und weiß aber, dass er mit einer solchen Erzählung einen großen Eingriff in die soziale Identität eines Ortes macht.

Hat er Angst vor der Veröffentlichung? „Mir war klar: Wenn ich mich entscheide, meinen Fall aufzuschreiben, brauche ich eine gewisse Stärke“, sagt Josef Haslinger. Angst, als Opfer gesehen zu werden, hat er nicht mehr, das macht er klar: „Ich stelle mich diesem Thema!“ Er wird Lesungen machen und sich Diskussionen aussetzen, wie kommenden Donnerstag in Wien. Keine/Angst ist ein gutes Motto für einen, der sich nicht noch einmal von jemandem fremdbestimmen lassen will. Nachsatz: „Ich habe lang genug gebraucht, dazu eine klare Haltung zu bekommen!“ (Mia Eidlhuber, ALBUM, 26.11.2019)