"Death Stranding"
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Eigentlich hätte an dieser Stelle schon vor einer Woche meine Rezension zu Death Stranding, dem neuen, heiß erwarteten Spiel des Entwicklerstars Hideo Kojima stehen sollen. DER STANDARD hat wie viele andere große Medien bereits Mitte Oktober Zugang zu einer Review-Version des Spiels bekommen – ein unüblich großzügiges Zeitfenster vor Erscheinen des Spiels am 8. November. Das Rezensionsembargo solle sogar schon eine Woche vor Release fallen. Außerdem unüblich – und zwar sehr – war folgende Passage in der vertraglichen Vereinbarung zu dieser Überlassung eines Rezensionsexemplars: Finale Test-Urteile oder Rezensionen dürfe man erst veröffentlichen, wenn der/die Tester/in das komplette Spiel "bis zum Abspann" gesehen hat.

DER STANDARD verzichtet im Fall dieses Titels nach längerer Überlegung wegen dieser Klausel auf eine Rezension. Stattdessen ein paar absolut subjektive und persönliche Anmerkungen zu Geniekult, Respekt, Zeitverschwendung und – Death Stranding.

PlayStation

Bis zum bitteren Ende

Es ist natürlich kein überraschender Wunsch eines Kreativen, dass sein Werk von der Presse zur Gänze gewürdigt werden möge; bei Filmen, Musikalben oder Büchern ist das selbstverständlich. Bei Spielen ist das nur auf den ersten Blick ebenso, denn viele Titel haben kein dementsprechendes Ende; Multiplayerspiele, Sandbox-Titel, Strategiespiele oder Rogue-likes, um nur ein paar Beispiele zu nennen, sind eigentlich nicht wirklich "fertig" spielbar. Andere Titel, etwa "epische" Rollenspiele – oder auch, ein kurzer Vorgriff, Death Stranding -, sind wiederum so lang, dass sie aus pragmatischen Gründen hin und wieder nicht "bis zum Abspann" gespielt werden, bevor eine kritische Einordnung erfolgt. (Vom Ende eines narrativen Spiels wird überdies sowieso in keiner Rezension geschrieben, um Spoiler zu vermeiden.)

Dass rezensiert wird, auch wenn nicht das ganze Spiel durch ist, ist meistens auch unproblematisch. Wenn man 20, 30 Stunden etwa The Witcher 3 oder Fallout 76 gespielt hat, ist eine Beurteilung der Qualitäten des Titels mit der entsprechenden journalistischen Erfahrung legitim möglich – besonders in Breitenmedien wie dem STANDARD, dessen Rezensionen nicht denselben Anspruch an Umfang sowie Detailliertheit haben wie jene fachspezifischer Special-Interest-Medien. Mit anderen Worten und einem Beispiel aus dem Technikjournalismus: Nach einem langen Tag Testfahrt mit dem neuen Automodell hat man absolut schon Berichtenswertes zu sagen – es ist nicht unbedingt nötig, noch 20.000 Kilometer herunterzuradeln, um zu einem validen Urteil zu kommen.

Ein Nebenaspekt ist, dass in den allermeisten Publikationen bei Videospielrezensionen nicht die gespielte Zeit, sondern der Text bezahlt wird, und zwar pauschal und nicht üppig. Konkret: Gamesrezensenten spielen unbezahlt in ihrer Freizeit. Die Ausnahme sind fix angestellte Autoren bei den wenigen verbliebenen großen Special-Interest-Outlets in Print und Online. Im deutschen Sprachraum dürften nicht mehr als ein Dutzend Videospieljournalisten ihre Spielzeit als Arbeitsstunden abrechnen; beim STANDARD zählt sie sowohl für freie als auch angestellte Kollegen selbstverständlich nicht als bezahlte Arbeitszeit.

Der Grund, warum an dieser Stelle vor einer Woche keine Rezension zu Death Stranding zu sehen war, ist also simpel. Ich habe Death Stranding trotz ernsthafter Bemühungen nicht "bis zum Abspann" gespielt. Und das hauptsächlich aus einem fundamentalen Kritikpunkt heraus: Hideo Kojima hat nicht den geringsten Respekt für die Zeit seines Publikums.

Kojima ist Kojima

Es gibt Menschen, die davon überzeugt sind, dass Hideo Kojima ein Genie ist. Am meisten allerdings glaubt das zweifellos Hideo Kojima selbst. Death Stranding ist zuallererst ein Spiel für all jene, die Kojimas diesbezüglich hohe Meinung teilen und gewillt sind, ihm viel Zeit zu schenken, in der sie sich – zumindest lange Zeit, und das absichtlich – nicht besonders gut unterhalten werden. Stattdessen sind Geduld und Leidenswillen gefragt. Das betrifft nicht nur die Länge des Spiels, das mit 50 bis 80 Stunden zwar nicht unbedingt kurz, aber auch kein besonders endloses Spielzeitmonster ist, sondern durchdringt alles in Death Stranding, vom Kleinsten bis zum Größten.

Lange Cutscenes erwartet man schon von Kojima, doch im Spiel gehen sie in ihrer Länge doch an die Substanz. In den ersten vier Stunden des Spiels ist man kaum mehr als 60 Minuten aktiv mit Selberspielen beschäftigt. Was als Abfolge von enigmatischen Teasertrailern samt Staraufgebot den Hype beförderte und auch mich durchaus beeindruckte, zeigt sich hier leider hauptsächlich als wirre, in esoterisch-pseudowissenschaftlichem Lore-Gebrabbel untergehende Abfolge von schwülstig schwurbeligen Dialogen mit ganz schön viel Binsenphilosophie. Über sieben Stunden Video sollen es insgesamt sein, und überspringen kann man sie natürlich nicht. Am Ende des Spiels, so las ich, folgt mehr oder weniger eine abschließende, fast zweistündige Cutscene, in der allerdings durchaus konsequent keine offenen Fragen beantwortet werden.

Als Lohn für die Mühen der Gameplay-Ebene sind diese Cutscenes schlicht zu wenig, um deren Eintönigkeit erträglich zu machen. "Death Stranding – der Film" ist lang, aber trotz guter schauspielerischer Leistung maximal mittelmäßig und behauptet ständig seine eigene Großartigkeit; exakt dasselbe lässt sich über Death Stranding als Spiel sagen, das unter seiner absolut grandiosen Oberfläche erstaunlich ereignisarm ist: Bring dies von A nach B. Dann nochmal. Dann nochmal. Dann nochmal.

Ich selbst schätze das schlecht beleumundete Genre der Walking-Simulatoren und brauche absolut nicht unbedingt traditionelles "Gameplay", doch die einzige Abwechslung zu den später bis zu über eine Stunde langen, eintönigen Fußmärschen dieses Spiels, die sich als endlose Abfolge von Fetch-Quests aneinanderreihen, ist das umständliche Inventory-Management samt Gewichts-, Inventory- und Ausdauerverwaltung. Und die Gefahren am Weg in Form von Menschen und Geistern sind eher Ärgernis als Herausforderung.

PlayStation

Zeitverlust bis ins kleinste Detail

Ironischerweise hatte ich bei meiner Zeit mit dem Spiel persönlich an diesem Hauptteil an Gameplay am wenigsten auszusetzen; Ereignisarmut, Umständlichkeit und Langsamkeit können ihren Reiz haben. Weniger Reiz hingegen entfaltet das Verwaltungsdrumherum. Unzählige kleine, aber dafür grundlegende Designentscheidungen zeigen, dass es Kojima wohl nicht nur bei langen, meditativen Fußmärschen um absichtliche Frustration seines Publikums gehen muss. So gut wie jede Interaktion etwa an den Terminals oder im "privaten Raum" ist von einer Vielzahl an den immerselben Cutscenes begleitet, die sich über den vollständigen Spielverlauf zu einer sicher zweistelligen Stundenanzahl summieren. Wer Sam etwa in die Dusche schickt, wird jedes einzelne Mal nicht von einer, sondern insgesamt vier Cutscenes erfreut, bei denen sogar das – hier gottlob mögliche – einzelne Überspringen jedes Mal obszön lang dauert. Und es gibt jede Menge davon.

Auch die gesamte Menü-Bedienung der umständlich verschachtelten Spielsysteme ist ein derart umständliches UI-Designfiasko, dass es wohl Absicht sein muss. Okay, ich habe es kapiert: Das sich immer und immer wiederholende Einchecken und Auschecken von Material samt seiner Cutscene und die Bedienung der Terminals oder auch des eigenen Inventory-Menüs sind wohl zugleich als Zen-Übung in langweiliger, umständlicher und immer wiederkehrender geistloser Routine gedacht. Klar, dass das alles in kleinstmöglicher Schrift passiert – wer auf dem Sofa sitzen will, braucht gute Augen oder einen Fernstecher. Ich selbst habe schlussendlich auf einem Sessel einen Meter vor dem TV Platz genommen.

Hochglanzkunst

Das ist ein Spiel, das sich absichtlich sträubt. Ist okay. Dass Death Stranding lange Zeit keinen Spaß machen will, ist legitim. Leider verharrt es letztlich zu lange in dieser Subversion, auf Kosten der Unterhaltsamkeit. Mühsame Märsche, Gegner, die kaum eine Herausforderung, aber dafür ein konstantes Ärgernis darstellen, die Tatsache, dass man auch fürs erst spät überhaupt verfügbare Fast-Travel zu einer Basis laufen und dort jedes Mal eine kleine Odyssee durch Menüs und Räume absolvieren muss, langwierige, nicht überspringbare Cutscenes: All das und viel mehr hat mich so weit entnervt, dass ich irgendwann den Controller beiseite gelegt und nicht mehr in die Hand genommen habe. Auch eine Leistung für ein Spiel, das ich sehr gerne für seine Qualitäten geliebt hätte.

Ich weiß: Das alles ist künstlerisch wertvolle Absicht. Danke, Kojima-san, für diesen Schmerz! Da muss man durch! Oder, halt: Wenn man kein Rezensent ist, der dieses Spiel ja schließlich nicht zum Spaß spielt, muss man das eigentlich nicht. Auch aus den höchstgelobten achtstündigen Theatervorstellungen flüchten regelmäßig Zuseher. So wie mir wird es vielen, vielen Menschen gehen, die dieses Spiel eigentlich gern gemocht hätten. Und so wie mir ist es übrigens auch den Kritikern einer der renommiertesten Publikationen der gesamten Branche, des britischen Edge, ergangen; die waren ebenfalls außer Stande, sich bis zum Release durch das ganze Spiel zu quälen – nicht aus Mangel an Zeit, sondern an Enthusiasmus.

Gebt Kojima wieder einen Chef!

Das kommt also heraus, wenn man ein Genie endlich mit riesigem Budget ein Spiel genauso machen lässt, wie er es sich vorstellt: ein Spiel, das – auch nach Aussagen des Entwicklers selbst und auch so gut wie allen Rezensionen zufolge – erst nach der Hälfte, also nach einer epischen "Durststrecke" von 20 bis 30 Stunden (ich möchte anfügen: mäßig) unterhaltsam wird, dann ein noch mühsameres Plateau erreicht, an dem ich aufgegeben habe, und sich, den Rezensionen zufolge, in ein bis zur Albernheit bombastisches Finale schleppt, das aus zwei Stunden Film besteht, den ich mir vermutlich im Fernsehen eher nicht ansehen würde. Ein Spiel, das in seinen nicht überspringbaren Cutscenes tiefgründige Weisheiten wie "Zusammen ist man weniger allein" und "Babys sind gar keine Gegenstände (ehrlich!)" versteckt; letztlich ein Spiel, das mit seinem Ankündigungsbombast in unzähligen Trailern und Teasern nichts mehr gemein hat als seine berühmten Schauspieler, die das Resultat ihrer Arbeit – jede Wette – wohl kaum besser verstehen als man selbst vor dem Bildschirm.

Toll, dass eine Zeit anbricht, in der auch im Medium Games die Vision einzelner Künstler wichtiger ist als das Abhaken von Must-have-Spielelementen. Großartig, dass Spiele nicht nur "Spaß" machen sollen, sondern ihrem Publikum auch andere Emotionen ermöglichen. Wunderbar, dass eine so sperrige Vision mit zugleich riesigem Budget existieren kann. Das alles finde ich super – nur Death Stranding leider nicht. Endlich durfte Hideo Kojima ein Spiel genauso machen, wie er es sich vorstellt. Leider ist es, all dem Lob zum Trotz, die meiste Zeit kein besonders gutes Spiel. Schade, dass kein Studiochef Kojima-san geholfen hat, da und dort kräftig zu kürzen und sein Genie zu einem besseren Spiel zu bündeln.

Ich habe Death Stranding nicht fertiggespielt und darf mir deshalb kein Urteil erlauben. Nur so viel: Mein Vertrauen in Hideo Kojima, im weiteren Spielverlauf grundlegend anders mit meiner Zeit umzugehen, ist winzig – und diese Skepsis wird von anderen Rezensionen, auch den euphorischen, bestätigt. Von Anstrengung und Frust ist da viel die Rede, und von Freude und Erleichterung, es irgendwann endlich doch "bis zum Abspann" geschafft zu haben. Ob sich ein normales Publikum ohne berufliche und vor allem vertragliche Verpflichtung, sich genauso durchzubeißen, so lang motivieren kann? Ist das Kritikerlob vielleicht zumindest zu einem kleinen Teil doch auch das Stockholm-Syndrom von Journalisten, die mehr Grund hatten als das "normale" Publikum, sich bis zum bitteren Ende auf Kojimas Geduldsspiel einzulassen?

Death Stranding ist ein Spiel, das viele Menschen so wie ich entnervt unbeendet lassen werden. Obwohl man schon genau das eigentlich durchaus auch als ein Fazit sehen könnte, bleibt das dem Spiel wegen seiner cleveren Rezensionsklausel erspart. Was für ein klassischer Fall von Survivorship-Bias: Nur die, die sich bis zu 80 Stunden lang überwinden konnten, dürfen vorab überhaupt ihre Meinung dazu abgeben. Der Metascore dankt’s.

PlayStation

Nachwort

Vielleicht bin ich der Falsche. Andererseits: Ich habe in komplexe und herausfordernde Spiele wie Dark Souls und Dwarf Fortress mit legendären Einstiegshürden hunderte Stunden Zeit investiert und verehre künstlerisch ambitionierte Games-Experimente, von Proteus über No Man’s Sky bis hin zu Everything. Ich habe in einem Spiel wie The Long Dark weit über 100 Stunden ebenfalls "nur" mit Wandern und Inventory-Management verbracht, mit dem Euro Truck Simulator ein paar monotone Runden gedreht und in Skyrim, Breath of the Wild & Co schon hunderte, ach was: tausende Gegenstände von A nach B gebracht.

Die genannten Spiele waren fordernd, schwer, elegisch, komplex, mühsam, lohnend, witzig, umfangreich. Eines aber eher nicht: prätentiös. Egal, wie viel besser das Spiel nach Stunde 30 noch wird; egal, ob die Mühsal der vielen, vielen ersten Stunden im Rückblick im Licht des eskalierenden Commitments dann eh gar nicht so schlimm waren; egal, wie fantastisch die raren Momente sind, in denen ich Death Stranding dann doch großartig fand – es bleibt, wie eingangs erwähnt, die Erkenntnis eines fundamentalen Problems: Hideo Kojima verschwendet mutwillig meine Zeit und behauptet, genau das wäre der Punkt.

Death Stranding verteilt seine zweifellos vorhandenen Qualitäten auf eine mindestens doppelt zu lange Spielzeit und bietet eine spielmechanisch anmaßende Dramaturgie, die es mit der absichtlichen Frustration zu Beginn gnadenlos übertreibt. Wer weiß, wie dieses Spiel wohl ohne Kojimas Promi-Bonus und von PR und Hype absurd überhöhte Erwartungshaltung aufgenommen worden wäre.

Denn was will uns Death Stranding mit seiner Übung in Frustration, seiner esoterischen Story und seinen absurd kleinteiligen Systemen letztlich Großartiges sagen? Dass Leben Leiden ist und man Trost nur in der Gemeinsamkeit mit anderen Menschen findet? Mal ehrlich: Für diese Erkenntnis braucht man Hideo Kojima nicht. Death Stranding ist ein außergewöhnliches Spiel, ja; aber auch eines, das viel von einer größeren Demut seines Schöpfers profitiert hätte. Schade. Ich hätte es gern mehr gemocht. (Rainer Sigl, 8.11.2019)