Tonio Schachinger tippt seine Literatur gern im Café Alt Wien ab.

APA/Hans Punz

Tonio Schachinger macht einen bescheidenen Eindruck. Der junge Wiener hat es mit seinem Debütroman Nicht wie ihr auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft – für ihn eine absolute Überraschung. Mehr will er gar nicht, sagt er: "Ich habe mein Soll erfüllt, ich hoffe, dass Saša Stanišić gewinnt."

Stanišić ist mit seinem autofiktionalen Buch Herkunft nominiert. Der deutsche Autor hat wie Schachingers Hauptcharakter Ivo Trifunović bosnischen Hintergrund. Wobei das wohl schon wieder zu kurz gegriffen ist, wie Nicht wie ihr in wunderbar schnörkelloser Sprache und mit viel Witz erklärt:

"Er (sc. Ivo) stellt sich vor, wie der den Kommunikationsmanager im Schwitzkasten hält, während jemand anders ihm den Arm verdreht und ihm dann die Basics erklärt, damit er vielleicht versteht, was der Unterschied ist zwischen bosnischen Serben wie Mirna, eine serbisch-kroatischen Montenegriner wie Bojan, einem Bosniaken wie Edin Džeko und Ivo, der zu einem Viertel bosnischer Kroate und zu einem Viertel bosnischer Serbe ist [...]." Die eigene Identität beschäftigt den Fußballprofi Ivo 302 Seiten lang.

Ein paar Hurenkinder dabei

Schachingers Debüt ist nämlich nur oberflächlich ein Fußballroman. Eine Geschichte über den Typ Spieler, der so viel verdient, dass er dein Leben kaufen könnte. 100.000 macht der 27-jährige Trifunović bei Everton in einer Woche. Er hat eine geile Frau, zwei geile Kinder und eine geile Affäre mit seiner Jugendliebe Mirna. Doch gerade das Techtelmechtel löst in Ivo, der eigentlich keine Sorgen haben müsste, eine kleine Sinnkrise aus.

"Fußball ist das Setting, aber ich freue mich, wenn man die anderen Themen wahrnimmt wie zum Beispiel ‘Toxic Masculinity’", erzählt Schachinger "wenn es Ivo nicht gut geht, leidet sein ganzes Umfeld darunter". Es war ihm wichtig, seinen Helden nicht einerseits als "dummes Macho-Arschloch" darzustellen und andererseits dafür zu sorgen, ihn ob seiner vielen guten, liebenswerten und erfolgreichen Seiten nicht zu glorifizieren.

Schachinger gelingt es, das auf den ersten Blick einfach gestrickte Fußballtalent zum komplexen Charakter zu machen – ein eckiger Mensch, der zur runden Figur wird, sozusagen. Mit der personalen Erzählweise – die Geschichte wird also in der dritten Person, aber quasi aus der Perspektive des Hauptcharakters erzählt – stellt Schachinger damit Nähe und Distanz zum Charakter gleichermaßen her. Die Klassenfrage und die Bedeutung von Familie sind weitere Themen des Romans. Wie oft das Wort "Hurenkind" in Nicht wie ihr vorkommt, hat Schachinger übrigens nicht gezählt, schätzt aber, dass er zumindest diesbezüglich bei den Nominierungen zum Buchpreis in Führung liegt.

Diplomatensohn und Rap-Diplomand

Antonio Schachinger, wie er eigentlich heißt, geht gern selbst "mit älteren Herren" Fußball spielen, schaut Menschen im Internet zu, wie sie Age of Empires 2 zocken, und hat aufgehört, den Bachmannpreis anzuschauen, seit Daniela Strigl nicht mehr in der Jury ist. Er studiert Sprachkunst auf der Universität für Angewandte Kunst sowie die Lehramtsstudien Romanistik und Germanistik auf der Universität Wien. Gerade ist er mit seiner Diplomarbeit zu subversiven Strategien in zeitgenössischen österreichischen Rap-Texten beschäftigt, in der er Money Boy, Yung Hurn und Klitclique auf den Zahn fühlt.

Er liest selbst viel zeitgenössische Literatur und verfolgt den Autor Christian Kracht aufmerksam, der – interessante biografische Koinzidenz am Rande – als Spiegel-Korrespondent nach Neu-Delhi ging, kurz nachdem Schachinger 1992 ebendort geboren wurde. Schachinger, der Sohn eines Diplomaten und einer Künstlerin verbrachte seine früheste Kindheit in Nicaragua; als er fünf Jahre alt war, zog die Familie nach Wien. Seine Schwester Anna, die auf der Akademie der Bildenden Künste Wien bei Daniel Richter studierte, ist Malerin.

Zu Österreichisch oder nicht Österreichisch genug

Schachinger hat im Gegensatz zu vielen anderen Jungautoren sein Debüt nicht im eigenen, privilegierten Milieu angesiedelt, sondern bei jenen, die hoffen, es aus den Fußballkäfigen zumindest in die goldenen zu schaffen. Trotzdem holt ihn – was er witzig findet – der Aspekt der migrantischen Identität nun selbst ein. Als bekannt wurde, dass er für den deutschen Buchpreis nominiert ist, führten ihn einige Medien nicht bei den Beiträgen aus Österreich an. "Meine Mama hat mir gleich ein ganz empörtes SMS geschrieben", lacht Schachinger. Besonders ironisch: Sein Buch war zuvor von einigen Verlagen mit der Begründung, dass es sprachlich "zu Österreichisch sei" abgelehnt.

Dass er sich überhaupt auf die Suche nach einem Verlag machen würde, der Nicht wie ihr veröffentlichen will, war gar nicht Schachingers ursprünglicher Plan, der das Buch im Rahmen eines von Anna Kim geleiteten Mentoring Programms am Institut für Sprachkunst zu schreiben begann. Auf der Angewandten hatte er sich noch mit Gedichten beworben, musste aber bald erkennen, dass "Lyrik nicht nur subjektiv ist und es Menschen gibt, die weitaus besser als ich wissen, was sie da tun".

Romane also. Sein nächstes Buchprojekt wird in der mexikanischen Oberschicht der 50er angesiedelt sein; ein Stipendium dafür hat er bereits erhalten. Im Café Alt Wien tippt Schachinger seine Literatur, die er immer zuerst mit der Hand schreibt, übrigens gern ab; Zu Hause würden ihn, der sich lachend als Internet-Opfer bezeichnet, die Verlockungen des WWW zu sehr ablenken. Kaffeehausliteratur 2.0 im besten Sinne also. (Amira Ben Saoud, 2.9.2019)