Der Aluhut gilt als Inbegriff für Verschwörungstheorien – er soll vor Gedankenkontrolle schützen.

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Die Erde ist flach. Die Mondlandung war gefälscht. Politik und Medien werden von einer geheimen Gruppe gesteuert. Menschen werden mittels Chemikalien gefügig gemacht, die am Himmel verspritzt werden. Das Netz wimmelt von Verschwörungstheorien. Die deutsche Organisation Goldener Aluhut versucht ihnen "mit Humor und Aufklärung" entgegenzutreten. Gründerin und Geschäftsführerin Giulia Silberberger erklärt im Interview mit dem STANDARD, wie diese Arbeit aussieht.

Giulia Silberberger kämpft gegen Verschwörungstheorien.
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STANDARD: Was ist die bizarrste Verschwörungstheorie, die Ihnen bis jetzt untergekommen ist?

Silberberger: Ich weiß nicht, ob es die ultimativ bizarrste Verschwörungstheorie gibt bei dem ganzen Unsinn, der uns täglich begegnet. Aber es gibt durchaus Schwurbel, der schwerer zu ertragen ist als anderer. Beispielsweise dass der Mond ein Hologramm sei und man auf Hologrammen naturgemäß nicht landen könne. Hier vereinigen sich Flacherdler mit Mondlandungsleugnern. Oder dass die Nichtraucherkampagnen in Wahrheit darauf abzielen, die Menschen für Chemtrails empfänglicher zu machen, da der Schleim in der Raucherlunge vor ebenjenen Partikeln schützen würde, die gesprüht würden. Lungenkrebs bekäme man demnach nicht vom Tabakrauchen, sondern von Chemtrails. Ach, und Nano-RFID-Chips sollen ebenfalls gesprüht werden, die wir einatmen und über die wir dann überall geortet und bei Bedarf ausgeschaltet werden können. Das finde ich schon sehr bizarr.

STANDARD: Welche Verschwörungstheorie hält sich besonders hartnäckig?

Silberberger: Eigentlich halten sie sich alle hartnäckig, denn das Internet konserviert ja bekanntlich jede noch so abstruse Information. Die Gläubigen in den Hardliner-Gruppen glauben meist den Großteil der im Netz verbreiteten Verschwörungstheorien, ja, vereinen sie sogar in einem großen "Multischwurbel". Was jedoch zunehmend auch außerhalb der einschlägigen Gruppen anzutreffen ist, sind Verschwörungstheorien, wie sie in der Impfgegnerszene verbreitet werden, zum Beispiel dass alle von den Pharmakonzernen angebotenen Medikamente darauf abzielen, Menschen krank statt gesund zu machen, und die gesamte Ärzteschaft Teil dieser gigantischen Verschwörung sei.

Auch die Leugnung der Souveränität Deutschlands – auch Österreichs und der Schweiz –, das Märchen von der Lügenpresse oder der angeblich von den Eliten gesteuerten "Flüchtlingskrise" sind Theorien, die man immer häufiger in den allgemeinen Kommentarspalten der sozialen Medien trifft. Nicht zuletzt werden sie durch die rechtspopulistische Szene am Leben gehalten. Bedauerlicherweise erhält auch der Antisemitismus durch diese Verschwörungstheorien einen gewissen Auftrieb, denn fragt man die Gläubigen, wem denn die Pharmakonzerne und Medien gehören oder wer den vermeintlich korrupten Regierungen vorsteht, erhält man als Antwort meist "die Zionisten, Illuminaten und Freimaurer" oder gleich ganz unverblümt "die Juden".

STANDARD: Wie sollte man mit Leuten umgehen, die Verschwörungstheorien verbreiten? Diskutieren oder ignorieren?

Silberberger: Das kann ich pauschal nicht beantworten, da es immer auf den Menschen ankommt, der mir gegenübersitzt. Erfahrungsgemäß ist es überaus schwer, mit Hardlinern zu diskutieren. Sollten Gespräche nicht mehr friedlich zu führen sein, ist es besser, dem Streit zunächst aus dem Weg zu gehen und entsprechende Themen zu vermeiden. Je nachdem, wie nahe einem die betreffende Person steht, kann das eine ziemliche Herausforderung sein.

Gegenrede im Internet ist immer gut, richtig und wichtig. Es empfiehlt sich hierbei, den Kommentar so unaufgeregt wie möglich zu schreiben. Ein beleidigender Ton untergräbt jedes noch so mühsam zusammengetragene Argument. Gegenrede sollte stets sachlich vorgetragen und Behauptungen mit Quellen untermauert werden. Solche Kommentare mögen den Online-Rüpel vielleicht nicht überzeugen, können für die stille Mitleserschaft jedoch von großem Wert sein. In persönlichen Diskussionen sollte man möglichst W-Fragen stellen: wieso, weshalb, warum, wer, mit welchen Mitteln und so weiter. Lasst euch nicht auf Nebenschauplätze entführen, denn Verschwörungsideologen neigen dazu, ihren Gesprächspartner mit vermeintlichen Informationen – Links zu dubiosen Blogs, Youtube-Videos et cetera – zu erschlagen, die die Haupttheorie stützen sollen. Hier sollte man sich auf die Basis und das Widerlegen der Haupttheorie konzentrieren, Logikfehler aufzeigen und im Idealfall mit seinem Gesprächspartner gemeinsam die Meldungen gegenrecherchieren. Auch hier gibt es wieder Fragen, die gestellt werden sollten: Wer teilt die Meldung? Ist es ein Leitmedium, ein Boulevardblatt, eine Nachrichtenagentur, ein Blog oder ein selbsternannter Enthüllungsjournalist? Was teilt das Medium noch? Gibt es belastbare Beweise oder gegebenenfalls eine Studienlage zu der Behauptung? Lassen sich die Bilder des Artikels nachrecherchieren? Mit ein paar Tools wie der Google-Bilder-Rückwärtssuche oder dem Youtube-Data-Viewer sowie ein paar Grundlagen der Quellenrecherche kann man bereits viele Fake-News und Verschwörungstheorien widerlegen.

STANDARD: Was sind die Gründe, wieso manche Menschen an so offensichtlich absurde Dinge wie Flat Earth oder Reptilienmenschen glauben?

Silberberger: Flache Erde und Reptiloide sind Dinge, bei denen ich bis heute nicht vollständig verstanden habe, wie man auf solche Theorien hereinfallen kann. Aber, kein Mensch steht morgens auf und ruft "Ab heute glaube ich, dass die Erde flach ist!". Dem liegt meist ein langer Weg zugrunde, an dessen Beginn meist nur leise Zweifel an der Richtigkeit der Dinge standen. Einige lehnen das etablierte Bildungssystem ab, weil sie denken, dass es von den Eliten gesteuert wird und das Modell der runden Erde ein Teil der Desinformation sei. Wieder andere sind schlicht fürchterlich naiv und glauben leider viele Dinge unreflektiert, die sie im Netz lesen. So können sie zum Beispiel einem Flacherdler auf den Leim gehen. Durch den Zuspruch in Online-Communitys kann aus einem anfänglichen "Es könnte sein" auch schnell ein "So ist es!" werden. Es darf nicht unterschätzt werden, welchen Einfluss so ein Zuspruch auf einen Suchenden ausübt.

STANDARD: Wie sieht es mit anderen Verschwörungstheorien aus?

Silberberger: In vielen anderen Bereichen der Verschwörungstheorien sind die Einstiegsszenarien gänzlich andere. Die Reichsbürgerbewegung ist ein Auffangbecken für viele Menschen, die sich weigern, GEZ-Gebühren (das deutsche Pendant zur GIS, Anm.) zu zahlen, und sich mit Gerichtsvollziehern konfrontiert sehen. Viele von ihnen suchen sich Hilfe im Internet und geraten so an diejenigen, die behaupten, die GEZ-Gebühr sei nicht zu entrichten, weil Deutschland kein souveränes Land sei, die Medien von den Siegermächten kontrolliert würden und daher auch keine Grundlage für eine solche Gebühr bestehe. Die Zahlungsaufforderungen könne man ignorieren oder mit kruden Reichsbürgertheorien antworten. Derart falsch beraten, spüren die Betroffenen nicht selten die harte Hand des Gesetzes.

Wieder andere wünschen sich vielleicht, sich im Umweltschutz zu engagieren, und treffen auf Chemtrail-Anhänger, die behaupten, der Klimawandel sei durch die Trails verursacht worden oder dass Bemühungen zur CO2-Reduktion sinnlos seien, weil eine Weltelite die Kontrolle über das Wetter ausübt. Menschen, die es schlicht nicht besser wissen, können so leicht auf derartige Verschwörungstheorien hereinfallen.

STANDARD: Es gibt also quasi einen Auslöser?

Silberberger: Für die meisten Menschen gibt es eine Art Initialereignis, das sie an Verschwörungstheorien hat glauben lassen oder zumindest Wegbereiter für diesen Glauben gewesen ist. Bei unserer Arbeit mit Verschwörungsideologien im Netz stechen einige Dinge besonders hervor, wie Existenzängste, finanzielle Unsicherheit, Angst vor weltpolitischer Entwicklung, Justizirrtümer, Schicksalsschläge oder Erkrankungen.

STANDARD: Gibt es Gruppen oder Ideologien, von deren Seite besonders oft Verschwörungstheorien kommen?

Silberberger: Ja, besonders oft sehen wir wie im rechtspopulistischen Spektrum Verschwörungstheorien verbreitet oder gezielt mit ihnen Wahlkampf betrieben wird. Meist geht das mit gruppenbezogenem Hass zum Beispiel gegen Flüchtlinge einher. Viele Menschen leiden unter Existenzängsten und Sorgen, ihre laufenden Rechnungen und, im schlimmsten Fall, ihre Miete nicht mehr begleichen zu können. Drohende Obdachlosigkeit, die Angst seinen Kindern nichts mehr zu Essen kaufen zu können, oder im Alter in Bettelarmut zu rutschen – viele Verschwörungstheorien setzen an genau dieser Angst an und erzählen Geschichten von Flüchtlingen, die gezielt nach Deutschland geholt würden, und hier unsere Kassen leeren, sodass für die einheimische Bevölkerung kein mehr Geld übrig sei. Rechte Parteien und radikale Elemente machen sich diese Ängste und Geschichten zu Nutze, um mit Verschwörungstheorien zur Einwanderung oder "Ausrottung der Deutschen" auf Stimmenfang zu gehen.

STANDARD: Sehen Sie in den letzten Jahren einen Anstieg von Verschwörungstheorien?

Silberberger: Menschen haben schon immer gern an verrückte Dinge geglaubt, daher sehe ich keinen signifikanten Anstieg. Jedoch verlagert sich der Glaube ein wenig zugunsten der Verschwörungstheorien, da sie oftmals ein moderneres Erklärungsmodell für Suchende bieten als die klassischen Glaubensmodelle wie zum Beispiel eine Schicksalslenkung durch Gott oder die Erfüllung von biblischen Prophezeiungen. Hier sei gesagt, dass die Schnittmenge von Verschwörungstheorien und religiösen Inhalten durchaus präsent ist. Viele warten auf die Wiederkunft Jesu, der die Welt von der New World Order / Weltverschwörung befreien soll, und/oder untermauern ihre religiösen Argumente mit Verschwörungstheorien.

STANDARD: Was tragen die sozialen Medien bei?

Silberberger: Durch die Popularität des Internets und die Möglichkeiten des Informationsaustausches, die es bietet, erreichen Verschwörungstheorien nun ein viel breiteres Publikum, als wenn sie wie früher in der Stammkneipe bei einem Bier diskutiert wurden. Zusätzlich bleiben sie im Netz vorhanden, während die bierseligen Theorien früher mit dem Gläubigen nach Hause gegangen sind. Da viele Gläubige auch dazu neigen, ihrem Missionierungsdrang nachzugeben und die allgemeinen Kommentarspalten zu fluten, erscheinen sie uns natürlich wesentlich präsenter und dominanter als früher. Social Bots tun ihr Übriges dazu und verbreiten entsprechende Fake-News inflationär in Online-Communitys.

STANDARD: Sie leisten ja auch "offline" Aufklärungsarbeit.

Silberberger: Tatsächlich macht unsere Offline-Arbeit nahezu drei Viertel unserer gesamten Tätigkeit aus. Viele Menschen wenden sich an unsere Ansprechpartner und bitten uns um Rat im Umgang mit Verschwörungstheoretikern in der Familie oder im Freundeskreis. Sehr oft sind die Verhältnisse bereits so angespannt, das die Parteien regelmäßig in Streit geraten. Wieder andere suchen nur ein offenes Ohr und möchten mit jemandem reden, der ihren Frust und ihre Verzweiflung versteht, wenn sie in den Diskussionen mit ihren Angehörigen kein Stück weiterkommen, und der weiß, wovon sie sprechen, wenn Begriffe wie Chemtrails, MMS, Lichtwesen oder Blue Beam fallen. Ich höre jedem gern zu und beantworte jede E-Mail persönlich, auch wenn Antworten aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens manchmal ein paar Tage dauern können. Ich habe in meinem Netzwerk auch einige psychologische Beratungsstellen und Therapeuten, an die ich bei Bedarf weitervermitteln kann. Denn leider befinden sich die Ratsuchenden bereits oft an dem Punkt, an dem es angeraten ist, sich professionelle Hilfe zu suchen, um den Konflikt innerhalb der Familie zu lösen. Alle unsere Beratungstätigkeiten üben wir kostenfrei und ehrenamtlich aus.

STANDARD: An wen richten Sie sich mit den Workshops?

Silberberger: Wir werden ebenfalls gerne – gegen Honorar – eingeladen, an Universitäten, Theatern, auf Fachtagungen und in Diskussionsforen zu sprechen. Die Ansprüche des Publikums sind immer unterschiedlich. Von einem kurzen Überblick über die Inhalte der gängigen Verschwörungstheorien über konkrete Inhalte wie Antisemitismus in der Alternativmedizin bis hin zu Wissenschaftsshows mit kleinen Experimenten für Kinder und Fake-Quiz-Spielen mit Teams und Buzzern ist alles dabei. Einmal pro Quartal machen wir irgendwo eine kleine Show mit drei bis vier Bühnenbeiträgen. Wir fahren auch sehr gerne zu Beratungsstellen und Organisationen, die sich an sozialen Brennpunkten engagieren, um sie über die Inhalte der Verschwörungstheorien zu informieren, mit denen sie bei ihrer Arbeit konfrontiert werden, wie sich die jeweilige Szene gestaltet und wo die Schnittmengen zu Rechtspopulismus und -extremismus liegen, wo zu religiösen Inhalten: Was sind die Buzzwords, worauf muss man achten, wenn man glaubt, eine Person könnte anfangen, an solche Verschwörungstheorien zu glauben, und so weiter. Auch diese Tätigkeit üben wir unentgeltlich aus.

STANDARD: Wie sieht es im Bildungsbereich aus?

Silberberger: Besonders Lehrkräfte werden verstärkt mit den Verschwörungstheorien ihrer Schüler konfrontiert, daher wünschen sie einen Überblick über die Inhalte, die Bewegungen innerhalb der Szene und wo die Gefahren der Verschwörungstheorien liegen. Da wir es als mindestens genauso wichtig erachten, im gleichen Workshop auch über Medienkompetenz zu sprechen, zeigen wir den Teilnehmern auch gleich die Unterschiede zu Hoaxes, Fake-News und Verschwörungstheorien, wie man eine ordentliche Gegenrecherche durchführt, und geben ihnen dazu Skills und Tools an die Hand.

In den fünf Jahren, die ich nun "Feldforschung" zu Verschwörungstheorien betreibe und die Communitys beobachte, habe ich ein ansehnliches Archiv von Inhalten zusammengetragen. Dieses stelle ich immer gern zur Verfügung, wenn Interesse besteht. Gerade Studierende der Psychologie, der Politik- oder Sozialwissenschaften wenden sich an mich und fragen zum Beispiel nach einem Interview für ihre Bachelorarbeit oder ob ich mit meiner Expertise weiterhelfen könnte. Das freut und ehrt mich sehr. Es ist so gut und wichtig, dass sich mehr junge Forscher mit Verschwörungstheorien, ihren Inhalten und der Psychologie dahinter beschäftigen. Je mehr Augen hinsehen, umso mehr kann gefunden werden. (Birgit Riegler, 1.9.2019)