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Liegt die Zukunft in der Vergangenheit? Mit dieser Frage beschäftigte sich eine Konferenz in Wien auf den Spuren von Kurt Gödel.

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Zwei Genies und beste Freunde: Kurt Gödel (links) und Albert Einstein.

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Sei es, um Verstorbene in der Vergangenheit wiederzusehen oder um einen Ausflug in die Zukunft zu machen – die Frage, ob Zeitreisen möglich sind, beschäftigt Menschen seit Jahrtausenden. An der Vergänglichkeit der Welt zu schrauben ist nicht nur der Stoff, aus dem Science-Fiction-Filme gestrickt sind. Seit einigen Jahrzehnten beschäftigt sich auch die Wissenschaft damit. Ein faszinierendes Beispiel ist eine Arbeit des Mathematikers, Logikers und Philosophen Kurt Gödel, die dieser Tage ihren 70. Geburtstag feiert und zu deren Ehren vergangene Woche eine Tagung an der Universität Wien stattgefunden hat.

Ein 70. Geburtstag war auch der Anlass, warum Gödels Aufsatz mit dem etwas sperrigen Titel "An Example of a New Type of Cosmological Solutions of Einstein's Field Equations of Gravitation" überhaupt entstanden ist. Kurz nachdem Gödel 1940 von Wien in die USA emigriert war, lernte er den 27 Jahre älteren Albert Einstein kennen. Täglich spazierten sie gemeinsam zum Institute for Advanced Study in Princeton, wo sie beide tätig waren, und wieder nach Hause. Die Freundschaft der beiden war so innig, dass Einstein sogar einmal gesagt haben soll, dass er bloß noch ins Institut komme, "um das Privileg zu haben, mit Gödel zu Fuß nach Hause gehen zu dürfen". Über Gödel wiederum berichtete der Physiker Freeman Dyson, dass er am Institut "der Einzige war, der mit Einstein auf Augenhöhe verkehrte".

Ein neues Universum

Im Jahr 1949 feierte Albert Einstein seinen 70. Geburtstag. Eine ganze Reihe an wissenschaftlichen Arbeiten wurde ihm zu diesem Anlass gewidmet. Auch Gödel ließ es sich nicht nehmen, einen entsprechenden Aufsatz zu verfassen. Das vierseitige Paper erschien im Juli 1949 im Fachblatt "Reviews of Modern Physics" und beinhaltete nichts Geringeres als ein neues Universum.

Ein neues Universum? 1915 hatte Einstein die Feldgleichungen seiner allgemeinen Relativitätstheorie vorgestellt. Diese Gleichungen lassen mehrere mathematische Lösungen zu – theoretisch handelt es sich bei jeder von ihnen um ein anderes Universum.

"Vor Gödel haben alle nur Lösungen gefunden, die langsam expandierende Universen beschreiben", sagt John D. Barrow, theoretischer Physiker an der Cambridge-Universität, einer der Vortragenden der Gödel-Tagung vergangene Woche in Wien. "Aber Gödels Lösung war vollkommen anders: Es expandiert nicht, doch es rotiert." Das Ungewöhnlichste am Gödel-Universum aber war, dass es die Möglichkeit von Zeitreisen beinhaltete.

Kein Raumschiff nötig

Unter einer Zeitreise im Gödel'schen Sinn darf man sich keine rasante Reise mit einem schnittigen Raumschiff vorstellen. Es bedarf auch keines Sprungs in ein Schwarzes Loch oder dergleichen. Mathematisch gesprochen handelt es sich bei der Zeitreise im Gödel-Universum um eine geschlossene Bewegungslinie: Wenn man die Bewegung eines Körpers in einem Raum-Zeit-Diagramm einzeichnet, ergibt sich eine geschlossene Linie. Somit geht die Zukunft in gewisser Weise in die Vergangenheit über, und genau genommen lässt sich die Zukunft nicht mehr eindeutig von der Vergangenheit unterscheiden.

Barrow vergleicht die herkömmliche Konzeption der Zeit mit einem Marsch von Soldaten, bei dem ein Mensch hinter dem nächsten geht. Jeder kann sagen, wer vor ihm und wer hinter ihm ist. Im Gödel-Universum bewegen sich die Menschen hingegen in einem geschlossenen Kreis. Dann lässt sich nicht mehr sagen, wer vorausgeht und wer hinterher.

Wie kann man sich also eine Zeitreise im Gödel-Universum vorstellen? "Es ist nicht so wie in der Science-Fiction, dass man in die Vergangenheit reisen, sie verändern und damit einen Widerspruch erzeugen kann, etwa indem man sich selbst als Kind ermordet", sagt Barrow. Bei der Gödel'schen Zeitreise geht es weniger um eine Bewegung als um eine Geschichte, die in sich widerspruchsfrei ist. "Es gibt nur eine Vergangenheit, und die kann man nicht ändern, man kann nur Teil von ihr sein."

Der Griff nach dem Gewehr

Wie das funktionieren könnte, macht Barrow an folgendem Beispiel deutlich: Man stelle sich vor, man kann sich in die eigene Vergangenheit zurückversetzen. Man sieht die eigene Mutter, wie sie einen selbst als Baby hält. Man nimmt ein Gewehr in die Hand mit der Absicht, sich selbst als Baby zu erschießen. Als man den Abzug drücken will, spürt man einen Schmerz in der Schulter, der von einer Verletzung kommt, die man sich als sehr kleines Kind zugezogen hat. Der Abzug wird dadurch unkontrolliert gedrückt, ein Schuss fällt, trifft aber nicht. Die Mutter erschrickt. Sie lässt das Baby fallen, und dieses verletzt sich an der Schulter.

Einstein dachte nicht, dass derartige Zeitreisen durch geschlossene Bewegungslinien gemäß seiner allgemeinen Relativitätstheorie möglich wären, doch Gödel konnte zur Überraschung aller zeigen, dass dies jedenfalls theoretisch möglich ist. Heute wissen wir, dass wir mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in einem Gödel-Universum leben. Aus Beobachtungen entfernter Objekte können wir schließen, dass sich unser Universum beschleunigt ausdehnt – das Gödel-Universum expandiert hingegen nicht.

Bizarre Eigenschaften

Weiters sieht Gödels Lösung vor, dass das Universum rotiert. Doch auch diese Voraussage widerspricht astronomischen Beobachtungen. Sind Gödels Theorien demnach längst überholt und vollkommen nichtig für uns? Ganz und gar nicht. "Gödel machte etwas sichtbar, das nicht erwartet worden war", sagt Barrow. "Es kann Eigenschaften des Universums geben, die lokal nicht evident sind, aber global extrem bizarr." Anders gesagt: Wenn man sich nur ansieht, wie sich das Universum in unserer näheren Umgebung verhält, heißt das nicht, dass es global nicht völlig exotische Eigenschaften aufweisen kann.

"Gödel zeigte, dass es keine kosmische Zeit gibt", sagt Palle Yourgrau, Professor für Philosophie an der Brandeis-Universität in Massachusetts, der mehrere Bücher über Gödels Werk geschrieben hat. "Man sollte Gödel nie unterschätzen. Alles, was er tat, war unglaublich tiefgreifend." Obwohl Gödel nur drei Jahre Physik studiert hatte, bevor er sich der Mathematik zuwandte, war er bestens informiert. "Die Leute dachten, Einstein brachte Gödel Physik bei. Doch das war nicht so, sie diskutierten physikalische Fragen auf einer Augenhöhe."

Fatale Widersprüchlichkeiten

Wie umfassend sich Gödel mit allen erdenklichen Themen befasste, zeigte sich auch 1947 bei seinen Vorbereitungen für das Einbürgerungsverfahren in die USA. Akribisch studierte er monatelang die Landesgeschichte und die US-Verfassung. Dabei fielen dem Logiker mit Entsetzen Widersprüchlichkeiten im zentralen Rechtsdokument der USA auf. Es sei, so Gödel, auf völlig legalem Weg möglich, eine Diktatur in den USA zu errichten.

Seine Freunde Albert Einstein und Oskar Morgenstern rieten Gödel dringend an, dies unerwähnt zu lassen, um seine Einbürgerung nicht zu gefährden. Die beiden begleiteten ihn zur Anhörung. Wie sich Morgenstern später erinnerte, lief alles bestens, bis der Richter anmerkte, dass ein Regime wie in NS-Deutschland in den USA unmöglich wäre – worauf Gödel rief: "Doch, ich kann es beweisen!" Der mit Einstein bekannte Richter soll zur Erleichterung Morgensterns geantwortet haben: "Oh Gott, lassen wir das." Das Verfahren wurde positiv entschieden. (Tanja Traxler, David Rennert, 31.7.2019)