Das soziale Netzwerk Facebook – schon angeschlagen durch die Themen Hasspostings und Fake News – steckt derzeit in seiner größten Krise.

Illustration: Michaela Köck

Bild nicht mehr verfügbar.

Die umfassende Datensammlung von Facebook ist den meisten Nutzern bewusst.

Foto: Reuters / Dado Ruvic

Mitte der 2000er-Jahre bastelt Alex Pentland gerade an Vorläufern von Smartphones und Fitnesstrackern, als er einen furchteinflößenden Gedanken hat: Was passiert, wenn man all diese Geräte – die binnen der nächsten Jahre zur Realität werden – miteinander verknüpft? Was, wenn Millionen dieser Geräte Daten austauschen?

"Plötzlich kann man alle Menschen jederzeit beobachten", denkt sich Pentland, der zu der Zeit am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) forscht. Gemeinsam mit anderen Wissenschaftern organisiert er 2007 eine Konferenz. Deren Teilnehmer weisen in einem Aufsatz darauf hin, dass durch die Vielzahl gesammelter Daten zwar hochwertige neue Einsichten erlangt werden können, allerdings reiche "ein dramatischer Vorfall", um Big Data in Verruf zu bringen.

Daten-Super-GAU

Elf Jahre später ist dieser Super-GAU eingetreten. Eine dubiose britische Firma namens Cambridge Analytica soll sich Nutzerdaten von mindestens 50 Millionen Facebook-Nutzern besorgt und unerlaubterweise für Wahlkampfzwecke eingesetzt haben. Das soziale Netzwerk selbst – schon angeschlagen durch die Themen Hasspostings und Fake News – steckt in seiner größten Krise.

Das liegt auch daran, dass Pentlands Kollegen in Großbritannien seine Warnungen überhört haben. Vor allem die Eliteuniversität in Cambridge etablierte sich als Zentrum für eine neue Form der Psychometrie, also einer Methodik psychologischer Messungen. Die zwei Forscher Michal Kosinski und David Stillwell präsentierten 2013 eine aufsehenerregende Studie. Sie sammelten Daten von Facebook-Nutzern, indem sie diese zu einem Persönlichkeitstest einluden. Durch diese Applikation erhielten sie die Berechtigung, Informationen über einzelne User abzusaugen.

Die beiden Wissenschafter versuchten dann, einzelne Datenpunkte mit bestimmten Eigenschaften wie der politischen Ausrichtung oder der sexuellen Orientierung zu verknüpfen. Das Ergebnis war mäßig beeindruckend. Einige "Paare" lagen auf der Hand – etwa Engagement gegen Homophobie und Homosexualität; andere ergaben keinen Sinn – etwa hohe Intelligenz und Interesse an gewellten Pommes.

Nähe zur Elite-Uni

Die Studie inspirierte den ebenfalls in Cambridge tätigen Forscher Aleksandr Kogan dazu, eine ähnliche Untersuchung durchzuführen. Genau wie seine Kollegen designte auch er einen Persönlichkeitstest. Stimmten Nutzer dessen Bedingungen zu, erlaubten sie Kogan nicht nur das Absaugen ihrer eigenen Daten, sondern implizit auch jener all ihrer Freunde, was Facebook bis 2014 erlaubte. Als Belohnung winkte den Teilnehmern ein Dollar. 270.000 Nutzer machten mit, durch die Daten all ihrer Freunde konnte Kogan auf Daten von mehr als 50 Millionen Menschen zugreifen – komplett legal.

Der britische Konzern SCL Group beobachtete diese Entwicklungen mit Interesse. Bisher arbeitete SCL vor allem mit Militäreinrichtungen und Geheimdiensten, nun sollte die Politik erobert werden. 2013 gründete das Unternehmen eine Tochterfirma namens Cambridge Analytica.

Die Nähe zur Elite-Uni ist nicht konstruiert: SCL warb eine Reihe von Wissenschaftern ab, die zuvor im Bereich Psychometrie gearbeitet haben. Außerdem kaufte das Unternehmen jene Daten über 50 Millionen Nutzer, die der Cambridge-Forscher Kogan gesammelt hatte.

Wunderwuzzis aus England

Das britische Unternehmen inszenierte sich nun als Heilsbringer für Politkampagnen. Mit der Hilfe des rechtsextremen Medienmachers Stephen Bannon, der ihrem Board of Directors beitrat, und der rechten Milliardärsfamilie Mercer gewann Cambridge Analytica zahlreiche US-Kunden. Nach knapp fünfzig Kampagnen schnappte sich das Unternehmen den wohl größten Fisch im Teich: den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Das britische Unternehmen sollte ihm helfen, zielgerichtete Werbung an potenzielle Wähler zu bringen.

Das machte laut der Einschätzung von US-Geheimdiensten aber schon jemand anderer: der russische Geheimdienst. Dieser sollte über seine sogenannte Trollfabrik Falschmeldungen in sozialen Netzwerken kursieren lassen, um Trumps Rivalin Hillary Clinton zu schaden. Russland sollte auch die Enthüllungsplattform Wikileaks mit internen E-Mails der US-Demokraten füttern. Auch Cambridge Analytica stand mit Wikileaks in Kontakt, wie Firmenchef Alexander Nix später zugab.

Cambridge Analytica geriet nach der US-Wahl zwar ins Visier von Untersuchungsausschüssen und Sonderermittler Robert Mueller, feierte den Sieg von Donald Trump aber ausgiebig. CEO Nix reiste um die Welt, um mit dem "entscheidenden Anteil" von Cambridge Analytica am Wahlerfolg Trumps zu prahlen und für seine Firma als auch die SCL Group neue Kunden zu gewinnen – man verhandelte etwa mit dem Pentagon.

Mehr als ein Jahr lang ging das gut. Doch dann zog ein nach eigenen Worten "schwuler, veganer Kanadier" in die Schlacht, um seinen ehemaligen Arbeitgeber Cambridge Analytica zu Fall zu bringen. Schon im Mai 2017 schickte Christopher Wylie interne Datensätze an eine Journalistin, mit denen erstmals die Verbindung zwischen Cambridge Analytica und der Brexit-Kampagne ans Tageslicht kam.

Razzien und U-Ausschüsse

Im März 2018 berichten dann der Guardian und die New York Times, dass Cambridge Analytica jahrelang unerlaubterweise jene Datensätze von 50 Millionen Nutzern verwendet hat, die einst der Forscher Aleksandr Kogan gesammelt hatte. Facebook soll das schon 2015 gewusst haben.

Nun ist Feuer am Dach: Der britische Sender Channel 4 brachte ein Video, das zeigt, wie Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix Undercoverjournalisten anbietet, politischen Rivalen mit Prostituierten eine Falle zu stellen.

Die britische Datenschutzbehörde führte eine Razzia bei dem Unternehmen durch. Und der Skandal weitet sich auf Facebook selbst aus. Zahlreiche Nutzer fragen, warum der Konzern so viele Daten über sie gesammelt hat, etwa Protokolle ihrer Telefonanrufe und SMS. Erste Klagen folgen, sie dürften jedoch aussichtslos sein. Facebook hat nach bisherigem Wissensstand gegen keine Gesetze verstoßen, sondern seine Möglichkeiten voll ausgeschöpft.

Überraschung ist das keine – genauso wie zahlreiche IT-Experten schon Jahre vor den Snowden-Enthüllungen vermuteten, dass US-Geheimdienste weltweit Kommunikationsvorgänge ausspionieren. Doch was Edward Snowden für die NSA war, ist Christopher Wylie für Facebook: der Whistleblower, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Dabei ist es mehr die Idee hinter Cambridge Analytica und Facebook, die für Entsetzen sorgt. Denn dass das britische Unternehmen tatsächlich die Wahlentscheidung von Nutzern beeinflussen konnte, ist mehr als strittig. Die umfassende Datensammlung von Facebook war den meisten Nutzern bewusst. Doch die Kombination aus aggressivem Auftreten und Methoden von Cambridge Analytica mit Zugriff auf intime Facebook-Daten stellt eine neue Dimension dar. Sie ist ein Blick in eine mögliche Zukunft, die in nicht allzu weiter Ferne liegt.

Oder, wie es Whistleblower Wylie erklärte: Was Cambridge Analytica gemacht hat, ist "schlimmer, als jemanden zu tyrannisieren, weil Menschen gar nicht mitbekommen, was ihnen angetan wird". Meinungsmanipulation geschehe heimlich – und sie "zerstört die Demokratie." Nun werden die Protagonisten vor Ermittlern und Untersuchungsausschüssen Rede und Antwort stehen müssen. (Fabian Schmid, 31.3.2018)