Die Liste der Autoren, die William Shakespeare stark beeinflussten, ist um einen Namen länger: Der berühmte Dichter übernahm offenbar Ideen von George North, einem englischen Diplomaten.

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"Mr. William Shakespeares Comedies, Histories, & Tragedies" von 1623, bekannt unter dem Namen "Shakespeares Folio", ist die erste Gesamtausgabe von Shakespeares Dramen. Darin finden sich auch Spuren von Norths Abhandlung.

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Dennis McCarthy, June Schlueter, "A Brief Discourse of Rebellion and Rebels" by George North. A Newly Uncovered Manuscript Source for Shakespeare's Plays". € 90,50 / 461 Seiten. Boydell & Brewer, 2018

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Er hinterließ der Welt nicht weniger als 39 Dramen, 154 Sonette, mehrere epische Versdichtungen und etliche Fragezeichen: Wer William Shakespeare wirklich war, ob er tatsächlich der Urheber aller Werke ist, die ihm zugeschrieben werden, und unter welchen literarischen Einflüssen er stand, ist seit Jahrhunderten Gegenstand der Forschung. Dass seine Biografie trotz zahlreicher erhalten gebliebener Dokumente 18 "verlorene Jahre" aufweist, über die nicht das Geringste bekannt ist, trägt bis heute zu wilden Spekulationen bei.

Nun geht der literaturwissenschaftliche Krimi um den berühmten Dichter in die nächste Runde: Zwei Wissenschafter aus den USA wollen eine neue Quelle entdeckt haben, die Shakespeare beim Schreiben einiger seiner wichtigsten Werke inspirierte. Eine Abhandlung des englischen Diplomaten George North soll Textpassagen in elf Stücken beeinflusst haben, darunter Richard III., Heinrich V., Heinrich VI., König Lear und Macbeth.

In ihrem dieser Tage erscheinenden Buch A Brief Discourse of Rebellion and Rebels by George North: A Newly Uncovered Manuscript Source for Shakespeare's Plays präsentieren Dennis McCarthy und die emeritierte Literaturwissenschafterin June Schlueter vom Lafayette College in Easton ihre Entdeckung – und den langwierigen Weg dorthin.

Literarische Detektivarbeit

Der begann im Jahr 2006, als McCarthy sich mit Thomas North beschäftigte, dessen Plutarch-Übersetzungen Shakespeare bekanntermaßen für seine klassischen historischen Dramen konsultierte. In einem Auktionskatalog aus dem Jahr 1927 fand McCarthy einen vielversprechenden Hinweis auf ein bisher unveröffentlichtes Manuskript eines mutmaßlichen Cousins von Thomas North namens George North.

Wie die New York Times berichtet, suchten Schlueter und McCarthy mehr als ein Jahr nach dem vermutlich um 1576 entstandenen Schriftstück, ehe sie es schließlich in den Beständen der British Library aufstöberten. North argumentiert in dieser Abhandlung, warum Aufstände gegen Monarchen ungerecht und zum Scheitern verurteilt sind. Schnell fanden die Forscher darin Passagen, die an Werke Shakespeares denken ließen.

Umfangreiche Analysen mit einer Plagiatssoftware brachten dann etliche Gemeinsamkeiten ans Licht. So würde etwa die Verwendung eher ungebräuchlicher Ausdrücke oder gleichlautender Phrasen und Wortabfolgen in ähnlichen Kontexten darauf hindeuten, dass Shakespeare Norths Abhandlung gut gekannt haben muss – wobei die Forscher betonen, dass es sich zwar um deutliche Parallelen, nicht aber um Plagiate im engeren Sinn handelt.

Umfangreiche Analysen

Besonders offensichtlich ist den Autoren zufolge der Einfluss auf die Beschreibung des englischen Rebellen Jack Cade in Shakespeares Heinrich VI., wo sich Details über dessen makabres Ableben, die man bislang für eine Erfindung des Dichters hielt, mit Ausführungen in Norths Text decken. Dass beide Autoren von einer dritten Quelle beeinflusst waren, halten McCarthy und Schlueter für sehr unwahrscheinlich: Sie verglichen mithilfe der Software in einer Datenbank entsprechende Phrasen mit Millionen von Buchseiten aus den Jahren 1473 bis 1700.

"Neue Quellen für Shakespeare tauchen nicht alle Tage auf, das ist ein wirklich bedeutender Fund", kommentierte David Bevington von der Universität Chicago die Veröffentlichung. "Die Liste der Passagen, die zurückverfolgt werden können, ist beeindruckend."

Der Einsatz von Plagiatssoftware für literaturhistorische Fragestellungen ist nicht neu, auch im Falle Shakespeares führte schon vor Jahren ein solches Programm zu einer Enthüllung: 2009 berichteten Forscher, dass Shakespeare neben dem Dramatiker Thomas Kyd Koautor des Stücks Eduard III. gewesen sein dürfte. Und es darf getrost angenommen werden, dass auch jetzt der letzte Akt der Shakespeare-Forschung noch nicht eröffnet ist. Aber, um mit den Worten des Dichters zu sprechen: "Jedes Ding hat seine Zeit." (David Rennert, 14.2.2018)