Die Haut ist gerötet und gespannt. Es folgt ein kleiner Schnitt mit dem Skalpell und etwas Druck mit zwei Fingern. Wie ein Geysir ergießt sich eine dickflüssige, gelbliche Flüssigkeit aus der Hautöffnung. Der Grat zwischen Faszination und Ekel ist ein schmaler. Und für Hautärztin Sandra Lee ein Teil ihres Alltags.

Die US-Amerikanerin ist ihrer drei Millionen starken Fangemeinde auf Youtube auch bekannt als "Dr. Pimple Popper". Auf ihrem Kanal dokumentiert sie die Behandlung von harmloseren und schwerwiegenderen Hautproblemen. Die Bandbreite reicht von harmlosen Mitessern über Akne, Fettgewächse bis hin zu bedenklich großen Zysten. Jedes Video generiert hunderttausende bis mehrere Millionen Klicks. Besonders "Best of"-Compilations scheinen besonders klickträchtig zu sein.

Zielgruppe auf Reddit entdeckt

Gestartet ist ihr Online-Erfolgslauf auf Instagram, erklärt sie gegenüber Bustle. Lee bemerkte, dass jene Videos, auf denen sie das Ausdrücken von Mitessern oder die Extraktion von Hautzysten zeigte, viel mehr Zulauf fanden, als alle anderen Inhalte. Schließlich stieß auf eine Bastion der Community, die von platzenden Pickeln nicht genug bekommen kann.

Sie versammelt sich auf der "Startseite des Internets", Reddit, in einem schlicht "Popping" genannten Forum. Dort posten die selbsternannten "Popaholics" Bilder und Videos, die sich primär damit befassen, wie unter der Haut angesammelte Stoffe aller Art ihren Weg an die Oberfläche finden. Lee hatte ihre Zielgruppe entdeckt und sperrte vor mittlerweile sieben Jahren ihren Youtube-Channel auf. Erste Nachahmer, oft auch Hautärzte, haben sich bereits gefunden.

Dr. Sandra Lee stellt sich vor.
Dr. Sandra Lee (aka Dr. Pimple Popper)

Smalltalk bei der Zystenöffnung

Ihre Videos zeichnen sich aber nicht nur durch die Abbildung ihrer chirurgischen Arbeit aus. Sie plaudert mit ihren Patienten locker über familiäre Themen und andere Dinge, was den Clips eine familiäre, intime Atmosphäre verleiht.

Manche ihrer Fans berichten, dass sie die Videos gerne zum Einschlafen ansehen, weil sie Lee gerne zuhören. Die Ärztin ist damit für ihren Fachbereich so etwas, wie es einst der Maler Bob Ross für sein TV-Publikum war.

"Ich normalisiere menschliche Hautprobleme"

Doch ihr Youtube-Kanal ist auch umstritten, schreibt Jezebel-Autorin Sarah Harris, die nach eigenen Angaben selber an krankhafter Ekzembildung leidet. Lee hat sich eine Marke um den "Ekelfaktor" der Hautprobleme ihrer Patienten aufgebaut. Dass sie als Ärztin zeigt, wie man diese behandelt, scheint in den Hintergrund zu rücken.

Die Ärztin selbst bestreitet dies. "Ich denke nicht, dass irgendeiner meiner Patienten grotesk ist und ich behandle sie auch nicht so", entgegnet sie dieser Kritik. Ihr sei es wichtig, dass diese sich niemals für ihre Hautkrankheiten schämen müssen. "Tatsächlich normalisiere ich menschliche Hautprobleme und starte einen Dialog darüber", so ihre Einschätzung ihrer eigenen Rolle.

Rabatt mit Nachgeschmack

Hat ein Klient ihrer Praxis ein Problem, das Social-Media-würdig erscheint, bietet Lee ihnen eine stark vergünstigte oder kostenlose Behandlung an, wenn diese im Gegenzug die schriftliche Freigabe dazu erteilen, dass die Prozedur gefilmt und veröffentlicht werden darf. Die Identität der Personen wird dabei nicht preisgegeben. Namen und Gesichter tauchen nur in Einzelfällen auf, wenn auch von den Betroffenen genehmigt.

Ein Nachgeschmack bleibt dennoch, sagt dazu der Bioethiker Art Caplan von der New York University. Denn viele der teils langwierigen Eingriffe sind teuer und werden nicht von Gesundheitsversicherungen abgedeckt. Es sei daher "ein Angebot, das viele Patienten nicht ablehnen könnten." Die American Academy of Dermatology, der Lee auch selbst angehört, schreibt in ihrem Ethikkodex, dass die Voraussetzungen für eine Behandlung nicht zu einer Aufgabe von Grundrechten wie Privatsphäre Seitens der Patienten führen dürften.

Entfernung einer Hautzyste (Ansehen auf eigene Gefahr).
Dr. Sandra Lee (aka Dr. Pimple Popper)

Zwischen Bildung und Entertainment

Lee betont aber auch die Bildungsfunktion ihres Kanals. Ihre Seher lernten, verschiedene Hautprobleme voneinander zu unterscheiden – etwa den Unterschied zwischen Zyste und Lipom (Fettgewächs) oder wann sie ihren Hautarzt wegen eines verdächtigen Leberflecks aufsuchen sollten. Um Wissen über soziale Medien zu vermitteln, müsse man aber auch unterhalten.

Sehr kritisch wird ihre Arbeit vom Dubaier Hautspezialisten Hassan Galadari gesehen, der zuletzt einen Kommentar über Ethik in sozialen Medien im International Journal of Dermatology veröffentlicht hat. Wenn man den Nutzern hauptsächlich filmt, wie sich Flüssigkeiten aus Hautöffnungen ergießen, zeige man nicht die Arbeit von Dermatologen, sondern betreibe Selbstdarstellung. Würde es Lee um Information gehen, würde sie auch andere Hautprobleme abbilden und mehr von ihrem Handwerk zeigen, als bloß das Ausquetschen von Mitessern oder Ausheben von Zysten.

Dies stellt zwar tatsächlich den Großteil ihres Kanals dar und zieht auch am meisten Publikum an. In einer Videoreihe namens "Dr. Pimple Popper University" spricht sie aber auch über andere Themen. Sie erklärt etwa, wie man als Arzt Patienten am besten ablenkt, wie man sich am besten vor Sonne schützt oder wie man Dermatologe wird.

Behandlungsvideos als Werbevehikel

Die australische Autorin Carly Findlay, selbst betroffen von einer angeborenen Hautkrankheit namens Netherton-Syndrom, sieht hier die Schaffung von Aufmerksamkeit von Problemen, von der jedoch nicht die Betroffenen profitieren. Es stellt sich die Frage, für wen Videos, wie jene von Lee, letztlich gemacht werden. Die Annahme liegt nahe, dass es nicht primär um das Eigeninteresse der Patienten und anderen Menschen mit Hautproblemen geht.

Die zum Youtube-Star gewordene Hautärztin gibt nicht Preis, wie viel Geld ihre Internetauftritte abwerfen. Sie erklärt jedoch, dass viele der Youtube-Clips nicht monetarisiert würden und Instagram erst gar keine solche Option anbieten würde. Das New York Magazine berichtete vergangenes Jahr, dass nach wie vor ihre Arztpraxis den größeren Teil von Lees Einnahmen einbringe.

Die Ärztin vermarktet auf Youtube auch ihre eigene Linie an Hautpflegeprodukten.
SLMD Skincare

Würde sie großflächig Werbeeinblendungen in ihren Youtube-Videos zulassen, könnte sie damit potenziell mehrere hunderttausend Dollar pro Jahr verdienen. Ihre Online-Aktivitäten seien vor allem als Selbstvermarktung hilfreich. Lee verkauft Merchandise mit "Dr. Pimple Popper"-Branding und bietet, so wie viele bekanntere US-Hautärzte, eine eigene Linie an Pflegeprodukten an.

Eine Frage der Schönheit

Dem Pimple-Popper-Phänomen lasse sich Positives und Negatives abgewinnen, resümiert Harris. Nur wenige Menschen sind "immun gegen den industriellen Schönheits-Komplex" und der verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers. Pickel seien vielleicht das perfekte Symbol für all die Dinge, die man an sich für falsch halte und beheben wolle. Ihre Behebung stellt somit auch einen kleinen, erfüllenden Sieg dar und bringt zumindest ein kurzes Gefühl der Erleichterung. (gpi, 09.12.2017)