Die Kommunikations- und Medienforscherin Elizabeth Prommer ist die Autorin der von Maria Furtwänglers MaLisa-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie über "Gechlechterdarstellungen in Film und Fernsehen in Deutschland".

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Am 12. Juli interviewte Claus Kleber im ZDF-"Heute-Journal" die Schauspielerin und Studieninitiatorin Maria Furtwängler mit überdeutlicher Skepsis.

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STANDARD: Frau Professor Prommer, wollen Sie das Publikum umerziehen?
Prommer: Nein, ich will das Publikum nicht umerziehen. Ich weiß auch gar nicht, warum alle der Meinung sind, das Publikum sehe das, was es sehen wolle. Wenn du dem Publikum nichts anderes zeigst, kann es auch nichts anderes wollen.

STANDARD: Was hat Frau Furtwängler gesagt?
Prommer: Ehrlich gesagt haben wir dieses Interview gar nicht als so bedeutend gesehen, weil wir an den paar Tagen so viele Auftritte hatten, dass dieser nur einer von vielen war und nicht mehr als ein "Der war jetzt aber komisch"-Gefühl hinterlassen hat.

STANDARD: Wie ordnen Sie die Fragen des ZDF-Moderators Claus Kleber an Maria Furtwängler, die Initiatorin der Studie, ein?
Prommer: Wie so etwas zustande kommt, ist von soziologischen Kolleginnen und Kollegen untersucht worden, und es heißt, dass es die letzten Verteidiger der Pfründe sind. Wir wollten niemandem auf die Füße treten, sondern einfach Fakten liefern, damit diese eigene Wahrnehmung nicht immer verzerrt ist. Wir haben uns auch gewundert, warum uns schon das Zählen als politisches Instrument unterstellt wird.

STANDARD: Welche Reaktionen gab es abseits des Interviews?
Prommer: Bis auf Claus Kleber und einen Artikel hat die Öffentlichkeit im Prinzip positiv reagiert, alle haben gesagt: Ja, wir brauchen Fakten. Man muss Claus Kleber auch relativieren, an sich hat er uns fast einen Gefallen getan. Er hat uns eine Diskussion geliefert. Wir hatten 40 Tageszeitungsartikel, 15 Radiointerviews, fünf Live-Nachrichten – da war Kleber einzigartig. Der Tenor in der Öffentlichkeit war: Das sind die Fakten, da müssen wir etwas ändern.

STANDARD: In den Foren klang der Tenor aber doch anders.
Prommer: Wir dürfen nicht vergessen: Zwischen 97 und 99 Prozent posten nie! Diese ein bis drei Prozent der Leute, die selbst Content herstellen, das ist eine ganz bestimmte Klientel. Wir müssen uns davon trennen, zu glauben, dass diese Postings irgendein Abbild unserer Gesellschaft ist.

STANDARD: Aber Postings erzeugen eine Öffentlichkeit, eine Stimmung.
Prommer: Genau, Postings werden gelesen, und die wirken negativ, das wissen wir aus Studien. Ich habe auch E-Mails bekommen, was für eine blöde Studie das ist – und klar ist, dass es da draußen und im Netz Menschen gibt, die eine große Angst vor der Gleichstellung von Frauen haben, die versuchen, Feminismus auszulöschen. Eine meiner Mitarbeiterinnen promoviert über Wikipedia, warum dort so wenige Frauen schreiben. 90 Prozent der Wikipedia-Autoren sind Männer, nur zehn Prozent Frauen. Wenn man in den internen Foren die Kommentare der Autoren liest, sieht man, was da für ein Antifeminismus und eine Aggression herrschen.

STANDARD: Die Autoren von Wikipedia gestalten Artikel bewusst antifeministisch?
Prommer: Ja, da gibt es wirklich Diskussionen, ob Genitalverstümmelungen bei Frauen Genitalverstümmelung heißen soll oder Beschneidung. Dann gibt es Typen, die schreiben, die Frauen sollen sich nicht so haben, das ist ja für die Hygiene. Es gibt Belege, dass Wikipedia-Artikel über Frauen sehr viel öfter gelöscht werden, weil sie als nicht wichtig erachtet werden.

STANDARD: Dann ist Claus Kleber vielleicht doch so etwas wie die Spitze des Eisbergs, der durch das Internet immer mehr freilegt wird?
Prommer: Der Eisberg würde ja bedeuten: Wir sehen nur die Spitze, und darunter liegt eine gigantische Masse. Ich sehe die Diskussion eher positiv, in dem Sinne, dass Claus Kleber ein letztes Urgestein ist. Hier zeigt sich der Wandel, es gibt aber noch ein paar Leftovers.

STANDARD: Welche Auswirkungen hat die Studie?
Prommer: Es wird ganz viel darüber diskutiert – auch auf politischer Ebene –, ob es eine Quote braucht oder nicht.

STANDARD: Ihre Empfehlung?
Prommer: Für Regie, Drehbuch, Produktion brauchen wir Quoten. Wenn die Branche sich freiwillig verpflichtet, ändert sich nicht viel. Frauen sind ja auch Teil eines Systems. Es ist nicht so, dass Frauen als Redakteurinnen unbedingt mehr Regisseurinnen anstellen.

STANDARD: Das Ergebnis der Studie überraschte, speziell bei der TV-Information, wo es ja scheinbar viele Frauen gibt, besonders in Deutschland: Anne Will, Sandra Maischberger, Maybrit Illner.
Prommer: Gefühlt sind sie so präsent und wichtig, ja, das ist schon richtig, aber alle zusammengezählt kommt eben trotzdem nur eine Frau auf zwei Männer.

STANDARD: Als Expertinnen sind Frauen nicht so präsent, weil sie öfter absagen, heißt es. Ist das so?
Prommer: Ich glaube das Argument nicht. Wenn jemand zählen würde, wie oft ein Mann absagt, dann würden wir wahrscheinlich draufkommen, dass Männer viel öfter absagen, nur da hast du auf deiner Liste den nächsten Mann. Bei den Regisseurinnen heißt es dann: "Ich hab eine, aber die kann nicht." Gefragt wurde aber nach Doris Dörrie und Caroline Link, weil sie auf keine anderen kommen.

STANDARD: Woran liegt es überhaupt, dass Frauen vor der Kamera um so viel weniger vorkommen?
Prommer: Wir wissen aus anderen Studien, dass Fernsehen und Film sehr auf Bewährtes und Gewohntes setzen, um Risiko zu vermeiden. Deshalb ist ja auch das Argument Unsinn, wir wollten das Publikum umerziehen, weil es noch keiner anders versucht hat. Es geht um viel Geld, also wird auf bewährte Erzählmuster, Schauspieler, Regisseure gesetzt. Auffällig ist auch, dass fast alle Sprecher männlich sind, da heißt es, wir sind es gewohnt, dass der weise Mann uns die Welt erklärt.

STANDARD: Wenn man es mit den US-Serien vergleicht: Hinken Deutschland und Österreich in puncto Diversität hinterher?
Prommer: Gerade die österreichischen Eigenproduktionen haben zum Teil starke Frauen, ich will gar nicht die "Vorstadtweiber" nennen, aber es gibt "Schnell ermittelt", die Ex-Alkohol-abhängige "Tatort"-Kommissarin und skurrile Frauen, die in einem witzigen Umfeld sind und gut ankommen. Und sie sind erfolgreich, das heißt, das Publikum nimmt starke Frauenfiguren auch an. Es ist nicht so, dass die Zuschauer erst "umerzogen" werden müssen. Die amerikanischen Netflix-Serien oder HBO sind in den USA auch nicht für ein Massenpublikum gemacht. Was in den USA im Massenfernsehen läuft, ist auch nicht so anders als bei uns.

STANDARD: Der antizipierte Frauengeschmack geht eher in Richtung Rosamunde Pilcher – und wird durch Zuschauerzahlen bestätigt.
Prommer: Ja, das heißt, dass sich Frauen gerne romantische Komödien anschauen, aber nicht, dass sie nichts anderes sehen möchten. Es geht nicht darum, Pilcher zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen.

STANDARD: Besonders eindimensional sind die Geschlechterbilder laut Studie im Kinderfernsehen. Wandel scheint hier noch nicht im Gange zu sein?
Prommer: Es gibt viele Bestrebungen, aber es scheint sich nicht durchzusetzen. Dann gibt es Mythen, die nicht empirisch untersucht sind, dass Buben keine Heldinnen anschauen würden und Mädchen nur Helden schauen. Sie haben einfach keine Wahl, und ich weiß gar nicht, woher das kommt, wie das Beispiel "Superwoman" zeigt.

STANDARD: Wie geht's jetzt weiter?
Prommer: Wir wollen das Monitoring fortsetzen, indem wir die Untersuchung in ein paar Jahren noch einmal machen. Die Sender stehen dem sehr positiv gegenüber, deshalb ist Kleber nicht die Spitze des Eisbergs, sondern eine kleine Eisscholle, die verirrt irgendwo herumschwimmt. (Doris Priesching, 12.8.2017)